Nigerias Arbeiter verlieren die Geduld

■ Zum Ende der Militärdiktatur stürzt Nigeria in die soziale Krise. Die Staatsangestellten wollen mehr Geld, die Regierung hat keins

Berlin (taz) – In Nigeria geht nichts mehr. Weite Landesteile sind wegen Streikaktionen im öffentlichen Dienst lahmgelegt, im Rest ist die Infrastruktur ohnehin kaputt. Kurz nach den Wahlen vom Februar, die Nigeria nach 15 Jahren Diktatur in die Demokratie führen sollen, droht dem Land der soziale Kollaps.

Ein Aufruf zum Generalstreik ab gestern wurde zwar in letzter Minute vom Gewerkschaftsdachverband NLC (Nigerian Labour Congress) wieder zurückgezogen. Aber viele Staatsangestellte waren bereits vorgeprescht, und sie sehen keinen Anlaß, an die Arbeitsplätze zurückzugehen. Vor einer Woche hatte NLC-Präsident Adams Oshiomhole den Generalstreik ab 15. März im öffentlichen Dienst ausgerufen, mit Option auf Ausweitung auf die Privatwirtschaft ab 22. März. „Nigerianische Arbeiter haben beschlossen, daß sie ab Montag, 15. März 1999, nicht mit leeren Bäuchen zur Arbeit erscheinen können und wollen“, sagte er.

Der Hintergrund: 1998 hatte Militärherrscher Abdulsalam Abubakar eine kräftige Erhöhung der Gehälter im Staatsdienst versprochen – und das dann im Januar 1999 wegen zu niedriger Staatseinnahmen wieder zurückgenommen. Statt wie versprochen 5.200 Naira im Monat (104 Mark) sollten die Staatsdiener nur noch mit 3.000 Naira (60 Mark) rechnen.

Die Gewerkschaften akzeptierten das nicht, und um die Wahlen herum begann eine Streikwelle in verschiedenen Bundesstaaten. Besonders im Osten des Landes wurde eine Bundesstaatsverwaltung nach der anderen lahmgelegt. Die Forderung: 3.660 Naira monatlich (73 Mark) für Angestellte der Bundesregierung und von vier Bundesstaaten mit besonders hohen Lebenshaltungskosten, 3.080 Naira (62 Mark) für den Rest. Im Zuge des Generalstreikaufrufs begannen radikale Streikführer, vom Klassenkampf zu träumen und eine alte Tradition militanter Arbeiterbewegung wieder ins Leben zu rufen.

In der Stadt Enugu entstand ein Arbeiterparlament. In der Stadt Makurdi wurden drei Gemeindeverwalter fast gelyncht, als sie sagten, sie könnten nicht einmal 1.300 Naira (26 Mark) Grundgehalt zahlen. In der Stadt Owerri machten streikende Lehrer massive Korruptionsvorwürfe: Ein Lokalpolitiker habe 30.000 Mark für einen Arztbesuch im Ausland erhalten, obwohl er kerngesund sei; ein anderer habe 90.000 Mark für eine Beerdigung abgezweigt.

Gegenüber der Radikalisierung der Streikbewegung blieben die nach wie vor amtierenden und allmächtigen Militärgouverneure der 36 Bundesstaaten merkwürdig untätig. Das weckte Befürchtungen, Mitglieder des im Mai von der Macht scheidenden Militärs seien vielleicht an einer Destabilisierung des Landes interessiert, um einen Vorwand für die Verlängerung ihrer Herrschaft zu schaffen. NLC-Chef Oshiomhole sagte, die Militärgouverneure der Bundesstaaten des Nordens hätten beschlossen, keine höheren Gehälter zu zahlen, und würden auf Gouverneure anderer Landesteile entsprechenden Druck ausüben.

Möglicherweise war dies der Grund, warum der Gewerkschaftsdachverband sich am Wochenende schließlich mit der Regierung einigte und den Generalstreik abblies. Anstelle von 3.660 bzw. 3.080 Naira gibt es nun 3.500 bzw. 3.000 Naira (70 und 60 Mark), rückwirkend ab Januar. Die Chancen, daß diese Gehälter tatsächlich gezahlt werden, sind gering, denn die Kassen sind auch diese Woche nicht voller als vorher. Die Militärgouverneure bestehen weiterhin darauf, daß sie bis zu zwei Drittel ihrer Angestellten entlassen müßten, um die neuen Gehälter zu bezahlen, und werfen der Zentralregierung vor, den Großteil des ihnen zustehenden Budgets in unbekannte Kanäle geleitet zu haben. Die Kraftprobe ist also nur verschoben. Dazu kommen andere Probleme: Seit vier Wochen streiken Nigerias Ärzte. An Universitäten kursieren Aufrufe zum Vorlesungsboykott. Die erratische Stromversorgung in Nigeria – im Land wird sie als „epileptisch“ bezeichnet – brach Ende letzter Woche endgültig zusammen, als die letzte funktionierende Gasturbine von Lagos kaputtging.

Alle Blicke richten sich nun auf den neuen Präsidenten Olusegun Obasanjo, der am 29. Mai die Macht übernehmen soll. Aber Obasanjo hat eine vierwöchige Weltreise angetreten. Unter anderem will er ausländischen Investoren die Vorzüge Nigerias erklären. Dominic Johnson