Staatliche „Betreuung“ führte zum Herzinfarkt

■ Die iranischen Behörden schweigen zum Stand der Ermittlungen gegen inhaftierte Mitarbeiter des Geheimdienstes. Der soll für über 120 Morde an Dissidenten verantwortlich sein

Eine dümmere Ausrede hätte dem Chef des mächtigen iranischen Wächterrats kaum einfallen können. Nachdem Ende vergangenen Jahres kurz hintereinander fünf iranische Regimekritiker umgebracht und anschließen ein gutes Dutzend iranische Geheimdienstler als Mordverdächtige verhaftet worden waren, erklärte Mohsen Resai, bei den Tätern handele es sich um „zionistische Agenten“.

Offiziell hüllen sich die iranischen Behörden zum Stand der Ermittlungen in Schweigen. Jede Öffentlichkeit würde die Untersuchungen gefährden, erklärt der Vorsitzende der obersten Justizbehörde, der zum konservativen Lager zählende Ajatollah Mohammad Jasdi. Derzeit säßen noch „sieben bis acht“ Verdächtige im Gefängnis.

Zugleich dringen jedoch immer mehr Informationen und Gerüchte aus dem Staatsapparat. Einige der bedrohten Schriftstller wurden von Mitarbeitern des für ihre Sicherheit zuständigen Innenministeriums informiert, andere von Journalisten mit gutem Zugang zu hohen staatlichen Stellen. Die folgende Version bildet die Schnittmenge dieser Angaben und dessen, was der Chefredakteur von Hamschahri (Mitbürger) der auflagenstärksten Tageszeitung Irans, Mohammad Atrianfar, gegenüber der taz bestätigte. Atrianfar gilt als enger Vertrauter von Staatspräsident Mohammad Chatami.

Demnach ist unter den Inhaftierten eine Person, die beim Geheimdienst für die „Betreuung“ mißliebiger Schriftsteller zuständig war. Gegenüber den Literaten trat der Mann unter dem Decknamen „Haschemi“ auf. Unter anderem war er verantwortlich für das Verschwinden des inzwischen in Deutschland lebenden Schriftstellers Faradsch Sarkuhi im November 1996 auf dem Teheraner Flughafen.

Haschemi soll nach seiner Verhaftung darauf bestanden haben, ausschließlich vor Präsident Chatami auszusagen. Ihm gegenüber soll er seine Verwicklung in mindestens 20 Morde im In- und Ausland gestanden haben. Nach Informationen der Zeitschrift Fikr No (Neue Gedanken) ist der Geheimdienst des Iran insgesamt mehr als 120 Morde an Dissidenten verantwortlich. Vor Irans Präsidenten hat Haschemi angeblich eingeräumt, bei Regimekritikern durch rektale Injektionen Herzinfarkte vorgetäuscht zu haben. Rektal, weil so bei einer Obduktion kein Einstich zu finden sei.

Tatsächlich gehört Herzinfarkt zu den häufigsten Ursachen plötzlicher Tode bei iranischen Dissidenten. 1994 starb daran angeblich der Schriftsteller Saidi Sirdschani im Gefängnis in Teheran. 1995 wurde bei dem in Isfahan tot auf der Straße aufgefundenen Übersetzer Ahmad Mir Alaii diese Todesursache diagnostiziert. Laut Atrianfar sollen die Verhafteten auch gestanden haben, den Gründer der „Vereinigung für Demokratie in Iran“, Pirus Davani, umgebracht zu haben. Davani ist seit dem 25. August 1998 verschollen. Atrianfar spricht im Zusammenhang mit den Morden von „einer Art Terrorismus innerhalb der Regierung, aber keinem Staatsterrorismus“. Eine Geheimgruppe innerhalb des Geheimdienstes habe durch die Morde versucht, die Reformpolitik der Regierung Chatami „zu unterminieren“.

Irans Schriftsteller fordern inzwischen in einem Brief an Justizchef Jasdi eine Aufklärung der Morde und öffentliche Prozesse gegen die Verdächtigen. Beobachter mit guten Kontakten zur Regierung halten dies jedoch für unwahrscheinlich, denn dafür verfügten die Inhaftierten über zu gute Kontakte. Für Atrianfar sind sie ohnehin „nur Ausführende“, hinter denen Personen stehen, die wohl nie zur Rechenschaft gezogen würden.

Unterdessen ventilieren interessierte Kreise aus dem Staatsapparat ein Szenario, wie die angeklagten Geheimdienstler vor Gericht ihre Köpfe aus der Schlinge ziehen könnten. Da die meisten Dissidenten seit Jahren observiert werden, verfügten die Angeklagten über Tonbänder, auf denen die Ermordeten dabei zu belauschen seien, wie sie den Propheten Muhammad schmähen, heißt es. Träfe dies zu, wären die Mordopfer nach strenger iranischer Auslegung des Islam todeswürdig gewesen. Würden solche Tonbänder in einem Prozeß von der Verteidigung vorgelegt, könnten die Mörder freigesprochen werden.