■ Der Rücktritt der EU-Kommission und die anstehende EU-Reform
: Ein zielloser europäischer Aufbruch

Die Kommission gibt endlich auf, und die Parlamentarier stoßen triumphierende Laute aus: Wir haben es doch gleich gesagt! Ja, schon, möchte man antworten, nur leider nicht laut genug. Heute will sich keiner mehr an das absurde Spiel erinnern, das Mitte Januar in Straßburg aufgeführt wurde. Pauline Green, die Sozialistenchefin, die sich nun an die Spitze der Antikorruptionsbewegung stellt, hatte damals noch tief in die Trickkiste gegriffen, um ihre Genossin, die Kommissarin Edith Cresson, zu retten. Und als der mildväterliche Santer grimmig blickend vors Plenum trat und mit seinem Rücktritt drohte, kippte die Stimmung vollends: So ernst hatten es die meisten nicht gemeint.

Unabhängige Experten mußten her, um nochmals aufzuschreiben, was der Europäische Rechnungshof und die Kontrolltruppe UCLAF schon Ende 1997 berichtet hatten: Mißmanagement, Chaos und Geldverschwendung. Zunächst ging es nur um „Echo“, weitere Programme mit wohlklingenden Namen folgten. Nun hat Aufbruchstimmung die Parlamentarier erfaßt – aber wie wird der Aufbruch aussehen?

Die Pleitiers dürfen weiter Geld verteilen und verplanen – bis ihre Nachfolger benannt sind. Die Agenda-Uhr tickt unaufhaltsam, und die Deutschen wollen schon Ende nächster Woche einen bezahlbaren Kompromiß präsentieren. Vorschläge dazu können laut EU-Vertrag nur von einer Kommission kommen – von der alten. Irgendwann in den nächsten Wochen wird dann ein neuer Kommissionspräsident ausgedealt sein. Das Parlament darf ihn wählen, er selbst darf sich seine Mannschaft zusammenstellen – die neuen Regeln des Amsterdamer Vertrags sollen angewendet werden. Dabei wird man manches bekannte Gesicht wiedersehen: Der Chef der britischen Konservativen, Edward McMillan-Scott, hat bereits vorgeschlagen, unbelastete Kommissare sollten wiederkommen.

Aber was heißt hier unbelastet? Die zentrale Kritik des Expertenberichts, daß die EU-Bürokratie in ihrer jetzigen Struktur gar nicht in der Lage ist, Projekte zu planen und zu kontrollieren, kann auch neues Spitzen-Personal nicht aus der Welt schaffen. Santers stolze Bilanz, nur 3,5 Prozent der Kommissionsmittel für Verwaltung auszugeben, ist ein Dokument der Hilflosigkeit: Da Europas Akteure, wie zuletzt die Agrar-Bastelei gezeigt hat, zu grundlegenden Reformen derzeit nicht die Kraft finden, muß als Sofortmaßnahme das löchrige Brüsseler Geldsäckel geleert werden. Renationalisierung eines Teils der Agrar- und Strukturmittel bis auf weiteres – die Bereitschaft zu grundlegenden Reformen würde bei allen Beteiligten massiv steigen, wenn erst mal Ebbe in der Kasse herrschen würde. Daniela Weingärtner