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Drei Schwestern auf dem Weg zum Sex

■ Männer im Würgegriff ihrer Neurosen und die Suche nach Glück: Todd Solondz' schauderhaft komische Familien-Sitcom „Happiness“ zwischen skurrilem Mitgefühl und nacktem Entsetzen

Glück soll ein warmer Gewehrlauf sein – hörte man einst von den Beatles. Anderswo, später, hört man „You light up my Life“ oder „Mandy“ und lebt in der Vorstadt, zum Beispiel in New Jersey. Da bedeutet ein Vater, der seinem pubertierenden Sohn zuhört und seine Fragen zu seinen sexuellen Problemen ehrlich beantwortet, Glück – ein Vater, wie ihn uns Todd Solondz in „Happiness“ zeigt. Freilich, wenn derselbe Vater zur gleichen Zeit seinen Sohn schmählich hintergeht und dessen Freunde vergewaltigt, dann sind wir wohl wieder beim warmen Gewehrlauf. Und der Frage, ob die Suche nach dem Glück nicht sowieso eine Perversion ist.

Doch bevor wir dieser Frage nachgehen können, schneidet uns Todd Solondz den Weg einfach ab. Denn „Happiness“ ist zwar eine eigenartige, aber doch eine Familien-Sitcom: Ihr geht es nicht um die prinzipielle Fehlerhaftigkeit der Suche nach Glück. Ihr geht es konkret um die lachhaften (bis mörderischen) Fehlleistungen, die ihren Protagonisten auf dieser Suche unterlaufen. „Happiness“ ist ein schauderhaft komischer Film, der uns das nackte Entsetzen lehrt und das Mitgefühl mit Menschen, wo wir es wirklich nicht erwarten. Es ist ein schriller Film von biederen Menschen, die sich als abstruse Charaktere entpuppen oder auch unverändert die naiven Hascherl bleiben, die sie sind.

Die Suche nach dem Glück ist die Suche nach dem Mann und dem Sex. Drei Schwestern unterwegs. Joy Jordan (Jane Adams) kriegt so gut wie nie einen ab, und wenn es dann einmal passiert, ist es der Falsche, ein Dieb, der seine Frau grün und blau schlägt. Helen Jordan (Lara Flynn Boyle), die geldscheffelnde Bestsellerautorin, könnte jeden kriegen, will aber im Grunde keinen, weil sie dem Sex das Glück nicht zutraut. Sex kennt sie nur als das ermüdende Dauerthema der Tatsachenromane, die sie ständig erfindet. Trish Maplewood (Cynthia Stevenson) schließlich ist erfolgreich verheiratet. Sie hat den Mann, aber keinen Sex mit ihm. Was ihr allerdings zu ihrem Unglück auch nicht weiter auffällt. Und dann sind da noch die Eltern, die sich gerade scheiden lassen.

Ihre Suche bildet freilich nur den ersten Kreis der Hölle, die da fehlgeleitete Leidenschaft, zuviel Einsamkeit, zuwenig Sex und zuviel Angst vor emotionaler Nähe heißt. Im zweiten Kreis schmachten die Männer im Würgegriff ihrer Neurosen. Auch sie sind auf der Suche nach dem Mann und nach seinem Sex. Welchen Sex hat ein glücklicher Familienvater? Wie „kommt“ man als Junge zum ersten Mal? Und wie kommt man bei seiner gleich Carole Bouquet schönen Nachbarin an als dicker, häßlicher Mann? Solondz hält die Grenzen zwischen den Männer-Frauen- Kreisen fließend. Im zweiten Kreis der Hölle, wo es um Gewalt und Totschlag geht, ist es keineswegs Helens Wohnungsnachbar Allen (Philip Seymour Hoffman), der einsame Wichser am Telefon, der hierher gehört. Es ist die absurd übergewichtige Wohnungsnachbarin Kristina (Camryn Manheim). Allen ist harmlos, aber Kristina ist es nicht. Und Bill Maplewood (Dylan Baker), zugleich Allens Therapeut, Trishs Ehemann und Billys (Rufus Read) Vater, ist es ebenfalls nicht. Fürchterlich, komisch aber sind sie alle, und am Ende auch noch liebenswert.

Und während sein Sohn sich noch abmüht, mit Hilfe von Sexmagazinen endlich zu erfahren, was die anderen Jungs meinen, wenn sie davon sprechen, daß sie gekommen sind, gelingt das dem Vater ohne weiteres; kauft er sich nur die Jungenzeitschriften, die sein Sohn liest. Bravourös spielt Dylan Baker einen fürsorglichen, wenn auch etwas müden Gatten und einen ebenso fürsorglichen, außerdem aber aufmerksamen Vater. Seine Liebe zu seinem elfjährigen Sohn ist zu spüren. Aber wie kann sie wahr sein, wenn Bill seinen Sohn (nur!) dazu benutzt, sich an dessen Freunde ranzumachen? Todd Solondz läßt diese Frage offen. Wie wird Billy diesen Verrat überstehen? Immerhin beantwortet der Vater Billys Fragen nach seinem Vergehen ohne Ausflüchte. Man meint, dieser Mut, der auch ein letzter Liebesbeweis ist, wird Billy helfen, der tatsächlich sein Orgasmusprojekt weiterverfolgt. Doch wenn er den Mittagstisch in der großelterlichen Wohnung in Florida mit der stolzen Mitteilung überrascht, „er sei gekommen“, dann lacht man erst, doch dann betet man wirklich, daß jetzt niemand seinen Erfolg mißbilligt und Billy in Verzweiflung und Mißtrauen zurückstößt.

Die sympathische Päderastenfigur des Vaters ist die eigentliche Provokation von „Happiness“. Sie führte dazu, daß October Films (eine Tochter von Seagrams) den Vertriebsvertrag in den Vereinigten Staaten kündigte und die Produzenten von Good Machine zwang, für den in Cannes ausgezeichneten Film einen eigenen Vertrieb zu organisieren. Trotz verschlechterter Startbedingungen hat der Film in den Vereinigten Staaten inzwischen seine Kosten eingespielt. Nach seinem preisgekrönten Erstlingsfilm „Welcome to the Dollhouse“ (1996), der auf ziemlich komische Weise erzählt, wie ein häßliches, elfjähriges Mädchen lernt, seinen eigenen Charme und Durchsetzungskraft zu entwickeln, hatte sich October zunächst um Todd Solondz gerissen. Schon damals zeigte sich Solondz' Begabung, ungeschönte und nicht unbedingt gewinnende Figuren doch als solche kenntlich zu machen. Er stellte sie jetzt ein zweites Mal unter Beweis, und er tat es noch besser. Denn eben: Happiness is a warm gun. Brigitte Werneburg

„Happiness“, Buch und Regie: Todd Solondz. Mit Jane Adams, Dylan Baker, Lara Flynn Boyle, Philip Seymour Hofman u.a., USA 1998, 134 Min.

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