Allen Fakten zum Trotz

Wenn die Lage schlecht ist, wird auch mal eine Frau Chefredakteurin: Wieso Petra Lidschreiber ausgerechnet zum SFB ging  ■ Von Petra Welzel

Ihr Zimmer bietet nicht viel. Schmucklose graue Wände, ein roter Christusstern, weiße Tulpen im Fenster, aufgeschlagene Zeitungen auf einem halbhohen Schrank. Keine wirklichen Anhaltspunkte dafür, was Petra Lidschreiber für ein Mensch ist. Seit November 1998 ist sie die neue Chefredakteurin des SFB-Fernsehens, heute moderiert sie zum dritten Mal das ARD-Magazin „Kontraste“.

Äußerlich sind auf den ersten Blick nur wenig Kontraste auszumachen. Eine schlanke Frau Ende Vierzig, die viel jünger wirkt in ihrem schwarzen, schmal geschnittenen Anzug mit dem schwarzweiß geringelten Pullover darunter. Nicht einmal die mahagonifarbenen Haare noch die in aubergine geschminkten Lippen fallen sonderlich auf. Da sind nur diese riesigen Augen, die ihr Gegenüber konzentriert beobachten und die eigenen, wohlüberlegten Antworten doppelt unterstreichend begleiten.

Petra Lidschreiber, Jahrgang 1951, hat eine dieser Bilderbuchkarrieren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemacht. Sie begann in München auf der Deutschen Journalistenschule. Es folgten ein Wirtschafts- und Politikstudium in Berlin, London sowie den Staaten. Abschluß: Doktortitel. Mit dem fängt sie beim WDR in Köln an, dreht Magazinbeiträge, moderiert Sondersendungen. Von 1992 bis 1997 leitet sie in New York das kleinste, aber heißbegehrte ARD- Studio. Für ein Jahr kehrt sie zurück ins Bonner ARD-Studio. Nun sitzt sie seit viereinhalb Monaten beim SFB vor grauem Hintergrund.

Auch die Fernsehdirektion, der sie unmittelbar unterstellt ist, besetzt seit dem vergangenen Jahr mit Barbara Groth eine Frau. Man könnte meinen, in den ARD-Anstalten, unter denen der SFB zu den Zwergen zählt, erarbeiten sich endlich auch die Frauen die wichtigen Positionen. Noch 1984 gab es unter 166 leitenden Angestellten der ARD-Sender lediglich eine Hörfunkredakteurin. Heute stehen immerhin 21 Frauen neben 150 Männern in der Verantwortung. Beim SFB waren Frauen sogar, bis Groth und Lidschreiber kamen, eine Fehlanzeige. Der schöne Schein hat allerdings zwei Haken: Mit Horst Schättle als Intendant und seinem Hörfunkchef ist das dreiköpfige Direktorium immer noch männlich dominiert. Und der SFB hat finanzielle Probleme: 50 Millionen Mark Rundfunkgebühren-Einnahmen drohen bis zum nächsten Jahr auszufallen, ab 2001 sollen seine Millionenzuwendungen aus dem Finanzausgleich gestrichen werden. In der Öffentlichkeit ist schon mal vom absaufenden Dampfer die Rede.

„Ich wäre ja blöd gewesen, diesen Job zu machen, wenn das der Fall wäre“, entgegnet Petra Lidschreiber, macht eine Pause, entspannt sich in ihrem Stuhl, steckt ihre Hände in die Hosentaschen und fährt fort: „Ich gehe doch nicht freiwillig auf ein sinkendes Schiff.“ Sie überlegt lange und sagt dann entschieden: „Die Gerüchte und Vermutungen über den SFB und das, was ich als SFB-Realität erlebe, wundert mich sehr“, und: „Ich erlebe hier soviel engagiertes Machen“, sie fragt sich: „Wo kommt dieser Ruf her?“

Auch wenn ihre Gesten schon so sparsam sind, wie es ihr Budget bald wird, trotzt Petra Lidschreiber den Realitäten. Da seien die steigenden Einschaltquoten des Dritten Programms B 1, dessen Politik- und Kultursendungen sie verantwortet. Andere Dritte würden um so ein „verschlanktes“, „pointiertes“ Programm noch ringen. Man kann den Zwang zum Sparen auch positiv wenden.

Doch den SFB bestimmen nicht nur Spardose und Perspektivlosigkeit, sondern auch immer noch der starke politische Einfluß. Die Hauptstadtparteien, die Intendanten verhindern und Direktoren installieren, haben auch bei der Chefredakteursstelle stets Mitsprache reklamiert. Fernsehdirektorin Groth wurde auch dank ihres CDU-Parteibuchs eingesetzt, dafür durfte sich SPD-Intendant Schättle beim „roten“ WDR die Nachfolgerin für den SPD-nahen Jürgen Engert einkaufen, jetzt Chef des ARD-Haupststadtstudios. Über die Vielzahl an Parteibücher sagt Petra Lidschreiber nur: „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, Journalisten dürfen keins haben.“

Getroffen haben sich Lidschreiber und Groth bei den Ost-West- Sehgewohnheiten – weil der SFB noch immer nicht im Osten angekommen ist. Sie wollen Ost und West zusammenbringen, sagt Lidschreiber, „das liegt uns beiden am Herzen“. In „Kontraste“ ist das zu spüren. Heute geht es da zum Beispiel um Rechtsradikalismus und Erziehung in den neuen Bundesländern. „Kontraste“ sei nur noch der Name aus der Zeit des Kalten Krieges, als die Sendung als konservatives Politbarometer gegenüber der DDR galt. Jetzt wird der Name mit neuen Inhalten gefüllt: „Wir wollen Geschichten um Menschen herumstricken und nicht den Anspruch haben, in jedem Beitrag die Welt zu erklären, aber die kleine Welt, die gezeigt wird, nachvollziehbar machen.“

Wenn Petra Lidschreiber ein Bekenntnis habe, dann sei es die „schöne Idee einer Zivilgesellschaft“. Sagt's und schließt nachdenklich mit den Fingern einen Kreis um ihre Kaffeetasse, aus der sie kaum getrunken hat. In New York, hat Petra Lidschreiber mal erzählt, ging sie immer gern bei Rot über die Ampel: „Dort galt das sportliche Prinzip. Wer schneller war, hatte Vorfahrt“, erinnert sie sich. In Berlin hat sie gelernt zu warten – „man riskiert hier sein Leben“ –, wenn das rote Männchen leuchtet. Und das nicht nur an der Straßenkreuzung.

„Kontraste“, 21 Uhr, ARD