Abschied vom Missionarischen

■ Lafontaines Abschied hat gezeigt: „Rot-Grün“ ist als großes sozialökologisches Hoffnungsprojekt beendet. Die Grünen müssen deshalb langfristig auch mit der CDU regieren können

Oskar Lafontaine war in der SPD der eigentliche Architekt von Rot-Grün. Mit seinem Abgang ist Rot-Grün als großes sozialökologisches Reformprojekt zu Ende, noch ehe es richtig begonnen hat. Rot-Grün war ein emotional und symbolisch hoch aufgeladener Begriff: Für die einen verbanden sich hochfliegende Erwartungen einer umfassenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erneuerung damit, für andere die ebenso emphatisch vorgetragene Angst vor radikaler Systemveränderung durch die Alt-68er oder die Beschwörung von Rot-Grün als Inbegriff des politischen Chaos.

Die hochfliegenden Erwartungen wurden ebenso enttäuscht wie die Ängste vor einem fundamentalen Politikwechsel. Erfüllt hat sich durch den Wirrwarr der neuen Regierung am ehesten das Klischee vom rot-grünen Chaos.

Der Untergang von Rot-Grün als Heilserwartung ist aber kein Schaden. Er ist eine Chance. Denn geblieben ist eine Koalition zwischen zwei ganz normalen Parteien: ein Zweckbündnis auf Zeit. Die Sacharbeit kann dadurch nur besser werden.

Denn die SPD hat nun endlich die Chance, ihre innere Gespaltenheit zu überwinden und ihre Positionen zu klären. Schon am Verhandlungstisch der Koalitionsgespräche im Herbst 1998 saßen wir oft genug nicht einer, sondern mindestens zwei Parteien innerhalb der SPD gegenüber: den Modernisierern einerseits, den Strukturkonservativen andererseits. Je nach Fachgebiet konnten dieselben Personen übrigens mal als Protagonisten für die eine oder für die andere Fraktion auftreten. So war Lafontaine in Sachen Unternehmensteuerreform und Sozialsysteme eine beharrende Kraft, während hier Schröder zu mutigeren Schritten bereit ist. In der Umweltpolitik ist es umgekehrt: Hier ist Schröder der Garant für Auto, Transrapid und Schutz der Wirtschaft vor der Umwelt, während Lafontaine zum Beispiel die ökologische Steuerreform aus innerer Überzeugung betrieben hat.

In jedem Fall verstand es die SPD bisher, ihre ungelösten inneren Konflikte jeweils bei den Grünen abzuladen. Zur Ablenkung wurden Ängste vor übertriebener Öko-Regulierung auf Jürgen Trittin und der Verdacht einer neoliberalen Steuerpolitik oder gar konservativen Haushaltspolitik auf Christine Scheel bzw. Oswald Metzger projiziert. Daß wir uns dazu oft unvermeidbar angeboten haben, sei unbestritten. Im Ergebnis wurde das Problem jeweils bei den Grünen lokalisiert und bei der SPD kaschiert (s. das Landtagswahlergebnis von Hessen).

Leicht wird es für die SPD allerdings nicht werden, ihre inneren Konflikte auszutragen und sich zu einem neuen, widerspruchsfreieren Profil zusammenzufinden. Immerhin wurde der Partei mit Lafontaine soeben das Herz aus dem Leibe gerissen, das bekanntlich nicht an der Börse gehandelt wird und links schlägt, und mit Schröder ersatzweise ein Motor als Umlaufpumpe angeboten. Das tut weh, und der Phantomschmerz wird erst voll spürbar werden, wenn der Schock nachläßt. Keine leichte Aufgabe für Schröder, keine leichte Aufgabe für die Partei. Schröder wird, um die Partei hinter sich zu versammeln, auch ein Stück nach links rücken müssen. Zugleich soll er eine wirtschaftsfreundlichere Kurskorrektur glaubhaft machen – eine durchaus widersprüchliche Aufgabe.

Die Bündnisgrünen haben ihre schärfsten parteiinternen Programmkonflikte längst ausgetragen und gelöst. Die großen Debatten um Bosnien, Einkommensteuer, Ökosteuer und Grundrente wurden unter dem Druck der Bundestagsfraktion auch in der Partei geführt und entschieden. Die Grünen sind eindeutig und unwiderruflich auf dem Weg zu einer Partei der ökologischen Modernisierung, die Nachhaltigkeit auch als Prinzip einer soliden Haushaltspolitik und einer neuen Generationengerechtigkeit entdeckt hat.

Es waren und sind die ökofundamentalistischen Rückfälle, mit denen wir selbst unser Image einer modernen Konzeptpartei immer wieder beschädigt haben: 5-Mark- Beschluß, Diskussion über die Beschränkung von Flugreisen, Tempolimit als höchstes Ziel grüner Verkehrspolitik. Auch die illusionäre Verankerung des sofortigen Wiederaufarbeitungsverbotes im Koalitionsvertrag läßt wieder die alte ökologische Neandertaler- Keule ahnen. Mit derlei kraftmeierischen Versprechen, auf die dann ein 6-Pfennig-Gesetz und die Rücknahme der Atomgesetz-Novelle folgen, machen wir uns selbst zu den Verlierern dieser Regierungskoalition.

Besonders ärgerlich, daß gerade der Umweltbereich als Kernbereich unserer Kompetenz immer wieder für solche fundamentalistischen Entgleisungen mißbraucht wird, während in der Außen-, Gesellschafts- und Finanzpolitik solche Exzesse längst undenkbar sind.

Die Grünen müssen sich endlich wahrnehmbar von derlei Attitüden verabschieden und die Modernisierungskonzepte nach dem Grundsatz Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit bündeln. Dieser Gesamtentwurf muß ein halb so missionarisches, aber doppelt so wirksames Reformkonzept werden, dessen Umsetzungschancen mit dem jeweiligen Koalitionspartner durchgecheckt werden müssen.

Mit dem jeweiligen Koalitionspartner. Ganz richtig gelesen. Der ist zur Zeit die SPD, die sich unter Schröder rasant zu einer Volkspartei der Neuen Mitte entwickeln und ihre Unterschiede zu CDU künftig noch weniger über den ideologischen Programmanspruch definieren wird.

Die SPD wird nun einen weiteren Entideologisierungsschub erleben und wie ihre europäischen Schwesterparteien einen pragmatischeren Handlungsansatz in der Neuen Mitte suchen. Schröder erbt nun alle Macht in der SPD und muß doch das Erbe erst so aufbereiten, daß er damit erfolgreich regieren kann. Aber er hat so viele strategische Optionen wie noch kein Kanzler vor ihm: von der Koalition mit den Bündnisgrünen über eine sozial-liberale Option bis hin zur Großen Koalition und zur Unterstützung durch die Reservetruppen der PDS. Nicht heute, vielleicht morgen, aber ganz sicher irgendwann wird er diese Optionen nutzen.

Wir Bündnisgrünen sind dagegen wie Prometheus am SPD-Felsen angekettet, und täglich wird an unsrer Leber gefressen. Wir sind so lange für Schröder erpreßbar, wie wir selbst keine strategischen Alternativen haben. Das müssen wir ändern.

Nicht, indem wir jetzt die Koalition mit der SPD in Frage stellen, das wäre politisches Harakiri. Wer aber jetzt und in den nächsten Jahren mit Schröder erfolgreich regieren lernt, wird eines Tages selbstbewußt auch bei der CDU anfragen können, was, bitte schön, man an gemeinsamen Vorstellungen umsetzen könne, und Personal und Programm der CDU/CSU darauf abklopfen können, was an parallelen Ansätzen erkennbar ist.

Denn Wertkonservative aus Schwarz und Grün können sich dann sehr nahe kommen, wenn sie daraus ähnliche Vorstellungen zur Modernisierung überholter Strukturen ableiten. Auch dies wäre kein emphatisch zu bejubelndes Lichtprojekt, sondern eine kühle und sachliche Zusammenarbeit auf der Grundlage eines begrenzten Vorrats an Gemeinsamkeiten, manchmal ersprießlich, manchmal verdrießlich. Wie Rot-Grün.

Noch etwas spricht dafür, die Bündnisgrünen zu weiteren Koalitionsoptionen zu führen. Die großen Grundkonflikte der Gesellschaft müssen bereits jetzt statt im Konflikt und mit der Brechstange im Konsens gelöst werden: die Massenarbeitslosigkeit im Bündnis für Arbeit, der Übergang vom atomaren ins solare Zeitalter in den Energiekonsensgesprächen. Dort sitzen sich bekanntlich die Unternehmensverbände und die Gewerkschaften gegenüber, die Bosse der Energiekonzerne und grüne Minister. Wie sollen wir uns dort mit Henkel, Hundt und Timm einigen, wenn wir uns perspektivisch keine Einigung mit Rühe und Seehofer zutrauen?

Das Konsensmodell als das politische Zukunftsmodell verlangt geradezu, daß sich die polaren Kontrahenten zusammentun, um große Konflikte gemeinsam zu bewältigen. An uns sollte ein Versuch nicht scheitern. Albert Schmidt