: Und sie nennen es Jazz
Auch dieses Jahr buhlen wieder zwei Festivals um die Gunst des Hamburger Publikums: im April die Fabrik, im Juli der WestPort. Mit Jazz hat die Sache aber nur noch am Rande zu tun. Weshalb Puristen der Weg zur JazzBaltica in Salzau empfohlen sei ■ Von Christian Buß
Nein, Veranstalter eines Jazz-Festivals möchte man wirklich nicht sein. Da muß man schon eine dicke Haut haben, um sich zwischen den Verpflichtungen gegenüber den Sponsoren der freien Wirtschaft oder den Auflagen der Kulturbehörde oder den avancierten Forderungen der Jazz-Snobs im Publikum durchzulavieren. Und bei Gagenforderungen, die sich bei einigen Künstlern lässig auf die Kosten eines neuen Mittelklassewagen belaufen, sollte man als Programmgestalter nicht allzu dogmatisch auftreten. Die Macher der beiden großen einschlägigen Happenings in Hamburg haben da ganz eigene Strategien entwickelt: Gebucht wird, was Zelt oder Halle vollmachen könnte, und mit Jazz muß das nicht unbedingt etwas zu tun haben. Die Presse mäkelt sowieso.
Gerade auf dem WestPort wird schon lange diese Schiene gefahren: Exponenten des gehobenen Pop-Entertainments werden hier mit den sicheren Nummern des Jazz-Betriebs verrührt. Verrechnen tut man sich da nur, wenn man in Clubnächten innovative, aber kaum publikumswirksame Elektronika präsentiert. Doch heuer gibt es keine Mißkalkulationen. Vom 8. bis zum 17. Juli findet der WestPort ein weiteres Mal vor den Deichtorhallen statt, insgesamt zum 10. Mal. Die Mischung ist geradezu perfide perfekt. Unter dem Motto „Poetry in Music“ etwa spielt der massenwirksame Elegiker Nick Cave, und für den Auftritt der auf Kanälen tobenden Grunge-Püppchen Garbage wird extra vor dem bekannten Zirkuszelt eine Freilichtbühne installiert. Damit das Ganze dann doch nicht wie ein Alternative-Rock-Sommerfestival daherkommt, wurden die üblichen Verdächtigen des Jazz-Establishments gebucht: Neben Pat Metheny ist auch John McLaughlin angekündigt.
Da richtet der Aficionado den Blick hoffnungsvoll gen Barnerstraße, wo vom 20. bis 25. April das 23. Jazzfestival anberaumt ist. Nach der glänzenden Auslese des letzten Jahres sind die Erwartungen hoch, noch immer erinnert man sich an den Saxophon-Sprint von Sonny Rollins und den zwar wenig spirituellen, doch enorm unterhaltsamen Pharoah Sanders. Doch auch das Programm in der Fabrik löst anno 99 lediglich bedingt Euphorie aus – mit Jazz hat das Festival nur mittelbar zu tun. Außer an einem Abend: Da tritt neben Clint-Eastwood-Sproß Kyle und Jacky Terrasson, einem begnadeten Pianisten aus dem Blue-Note-Stall, Abbey Lincoln auf. Wir werden den Kniefall machen, wenn die letzte große Sängerin des Jazz zum ersten Hamburg-Gastspiel erscheint. Die hierzulande kaum wahrgenommene 68jährige war nicht nur zentrale Figur der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und eine grandiose Aktrice, sie gehörte Ende der Fünfziger auch – neben ihrem späteren Ehemann Max Roach – zu den ersten, die afrozentristische Inhalte in ihrer Musik vermittelten. Jetzt nimmt sie regelmäßig tolle Alben für Verve auf.
Ansonsten gibt es in der Barnerstraße wenig Jazz zu hören. Immerhin muß man anerkennen, daß sich die Veranstalter bemüht haben, das Programm thematisch sinnvoll auszugestalten. Der Avantgarde-Tausendsassa John Cale etwa wird von den Elektronik-Tüftlern Klaus Schulze und Pete Namlook flankiert; und den Ethno-Pop-Star Salif Keita unterstützt die ebenfalls aus Mali stammende Rokia Traoré, eine dem Himmel ganz nahe Sängerin. Außerdem in der Fabrik: Mamady Keita und Les Tambours Du Bronx, Uwe Kropinsky und das Tomatito Ensemble sowie Geigen-Schocker Nigel Kennedy.
Der Jazz-Purist, der bei beiden Hamburger Konzert-Kulminationen nicht recht auf seine Kosten kommt, fährt nach Salzau bei Kiel. Die JazzBaltica trumpft dort vom 11. bis zum 13. Juni mit einer ansehnlichen Ansammlung von Stars auf: Neben dem niemals enttäuschenden Charlie Haden sind unter anderem die beiden Vibraphon-Legenden Bobby Hutcherson und Milt Jackson zu bewundern. Und sie nennen es mit Recht Jazz.
Infos über das Jazzfestival in der Fabrik unter Tel.: 39 10 70. WestPort: 44 64 21. JazzBaltica: 0431/988 58 48
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen