Die Vorschau
: Die tiefempfundene Liebe zum Scheißsolo

■ Bluetip, Laddio Bolocko und The Farewell Bend rocken am Samstag im Wehrschloß

Früher hat sich Jason Farrell, Gitarrist und Sänger bei „Bluetip“, zu Halloween bemalt und angezogen wie der Kiss-Gitarrist Ace Frehley – jener lebende Beweis dafür, daß der menschliche Körper auch in nahezu völliger Trennung von seinem Geist existieren und sogar in einer Band spielen kann. Schon vor mehr als zehn Jahren galt Ace als so weltentrückt, daß eine lustige Band namens „Spazztic Blurr“ Witze darüber machte. Jemand anders sagte, Ace Frehley sei nicht wirklich zu treffen, durch den gehe alles eher hindurch. Beim kürzlichen Bremer Kiss-Konzert erwies er sich zwar als noch nicht völlig dematerialisiert, aber selbst wenn das eines Tages geschehen sollte, wäre seine wesentliche Existenz nicht negiert: die einer Comic-Figur.

Gerade als solche Meta-Existenzen üben Kiss eine ungebrochene Faszination auf Musiker der Hardcore-Szene aus, die weniger der tiefempfundenen Liebe zu beschissenen Gitarrensoli gilt, als vielmehr aus einem distanziert-ironischen Verhältnis dazu stammt. Dieses kultivierte Verhältnis zu Rock schlägt sich bei eingangs erwähnten Bluetip aus Washington in einem reflektierten Umgang mit dem Material nieder, das sie am Samstag im Wehrschloß vorstellen. Es wird nicht zornentbrannt und rechtschaffen entrüstet nach vorn gebrettert, sondern vielmehr mit Sinn fürs Detail komponiert. Zwischen schroffe Riffs und gleichwohl federnde Grooves der Washington-D.C.-Schule bauen Bluetip disziplinierte Melodien, auf die sie Geschichten wie die von magischen Momenten in der Slowakei oder dem Gleichmut angesichts ewig gleicher Tage schreiben. „I used to get angry, now I like the consistency“, wie sie in „Carbon Copy“ singen.

Laddio Bolocko aus New York City gewinnen die Distanz zum adoleszenten Lärmen, indem sie ihre Musik konsequent kühn über die Grenzen von Rock hinauskatapultieren. Die Musiker um den Ex-Dazzling-Killmen-Schlagzeuggott Blake Fleming haben ausgehend vom Avantgarde-Rock von This Heat ihren Weg über krachigen Rock vorbei an gesetzteren Postrock-Ergüssen unter Berücksichtigung wegweisender Freejazz-Platten gebahnt. Mittlerweile sind sie bei einem fast schon mit konventionellen Schönheitsbegriffen zu fassenden Sound angekommen, bei dem perkussive Elemente in sinistre Klanglandschaften eingelegt werden, über denen Saxophonist Marcus DeGrazia in Albert-Ayler-Manier abhebt.

Als bodenständigen Kontrapunkt setzt das Programm The Farewell Bend aus Kansas City, die eine starke Affinität zu Bands wie Soul Asylum hegen, als die noch nichts von „fortgelaufenen Zügen“ wußten. Melodisch, drei Akkorde und ein Wissen darum, daß ein Song (d)ein Leben retten kann, und damit Bewahrer einer Tradition, die gegenwärtig möglicherweise einen schlechten Ruf genießt, an der aber offenbar nach wie vor Bedarf besteht.

Ich verspreche, das wird ein erbaulicher Abend.

Andreas Schnell

Konzert am Samstag ab 20 Uhr im Wehrschloß, Hastedter Osterdeich 230