Kinder angeblich ausgeschlachtet

■ Ägyptischer Staatsanwalt ermittelt gegen Waisenhaus. Die Betreiber sollen mit den Organen ihrer Schützlinge gehandelt haben

Kairo (taz) – Ägyptens oberster Staatsanwalt untersucht derzeit den wohl bisher schlimmsten Fall von Organhandel in der Geschichte des Landes. Laut den Anschuldigen, die zehn Parlamentsabgeordnete dem Staatsanwalt übermittelt haben, sollen die Mitarbeiter eines Waisenhauses im Nildelta einen regen Handel mit den Organen der von ihnen betreuten Kinder betrieben haben.

Die Abgeordneten waren auf den Fall aufmerksam geworden, nachdem in den letzten drei Monaten 25 der 30 in dem Waisenhaus lebenden Kinder gestorben waren. Angeblich wurden sie für Summen von umgerechnet zwischen 5.000 und 15.000 Mark an private Krankenhäuser geliefert, die dann ihre Körper für reiche Patienten ausschlachteten. Drahtzieher des Handels sollen der Verwalter des Waisenhauses, ein bekannter ägyptischer Filmemacher, und dessen Frau sein.

Das Haus war den Behörden bereits zuvor aufgefallen. Seit letztem Sommer läuft eine Untersuchung des Sozialministeriums wegen „grober Vernachlässigung der Kinder“ und „finanziellen Unregelmäßigkeiten“.

Die Tageszeitung al-Achbar veröffentlichte gestern einen Bericht, der die Vorwürfe entkräften soll. Demnach haben die Gesundheitsbehörden in dem Waisenhaus zwar allerlei Vernachlässigungen gefunden, aber keine Hinweise auf Organhandel. Der Chef der lokalen Gesundheitsbehörde, Dr. Muhammad Rida al-Gindi, erklärte gegenüber der Zeitung, daß die Todesrate in Waisenhäusern generell sehr hoch sei, da die Kinder meist in äußerst schlechtem Gesundheitszustand eingeliefert würden.

Ausbeutung von Kindern sei in Ägypten nichts Neues, erklärt der Politologe Ahmad Abdallah, der selber eine Hilfsinstitution für arbeitende Kinder leitet. Der Handel mit ihren Organen, wie er in manchen asiatischen Ländern betrieben werde, sei in Ägypten aber bisher die Ausnahme. Falls sich die Vorwürfe gegen das Waisenhaus bewahrheiten sollten, handle es sich um eine neue Qualität von Kinderausbeutung.

Das Thema Organspenden an sich ist in Ägypten umstritten. Vor allem islamische Würdenträger sprechen sich aus religiösen Gründen dagegen aus. Im Mittelpunkt der Debatte steht wie auch in Europa die Frage, ab wann ein Mensch als tot gilt. Der oberste Scheich der islamischen Ashar-Universität in Kairo, eine der höchsten Autoritäten im sunnitischen Islam, schaltete sich im vergangenen Jahr persönlich in die Diskussion ein. In seinem Testament legte er fest, daß seine Organe nach seinem Tod zur Transplantantion frei stünden.

Vor allem um einem aus Armut bedingten Organhandel entgegenzuwirken, hat der weitgehend von Islamisten kontrollierte ägyptische Ärzteverband das Spenden von Organen von Ägyptern an Ausländer untersagt. Außerdem dürfen nur Organe zwischen Verwandten bis zum vierten Grad ausgetauscht werden. Der jetzt im Zusammenhang mit dem Waisenhaus in Aktion getretene oberste Staatsanwalt Ragai al-Arabi hatte bereits in der Vergangenheit Beschwerden des Ärzteverbandes erhalten, wonach von armen Ägyptern gespendete Nieren für viel Geld an Ausländer verkauft wurden. Obwohl die Rechtslage unklar ist, wurden bereits mehrere Kliniken wegen „illegaler Transplantationen“ geschlossen. Karim El-Gawhary