: Bonn trickst für Unternehmen
Für die meisten Branchen ist das Steuerentlastungsgesetz mit der heutigen Abstimmung im Bundesrat gegessen. Sie setzen jetzt auf die Unternehmenssteuerreform ■ Von Beate Willms
Berlin (taz) – Pflichtbewußt haben die Unternehmerverbände bis zum letzten Augenblick Druck gemacht. Noch gestern forderten DIHT-Chef Hans Peter Stihl und sein BDI-Kollege Hans-Olaf Henkel „eine zweite Chance: Stoppt die Steuerreform“. Trotzdem wird die Ländervertretung das Steuerentlastungsgesetz heute mit der Mehrheit der rot-grün regierten Länder endgültig verabschieden. Damit können die Senkungen bei den Einkommenssteuern und die Streichungen von Steuerschlupflöchern rückwirkend zum 1. Januar in Kraft treten.
Ganz unzufrieden können auch die größten Kritiker aus den Reihen der Wirtschaft nicht sein. Schließlich haben zumindest Atomkonzerne und Versicherungsgesellschaften, die am heftigsten auf die Barrikaden gestiegen waren, der Regierung Schröder weitere Nachbesserungen abgerungen.
Wie die allerdings konkret durchgeführt werden sollen, war bis gestern nicht zu erfahren. Fest steht nur, daß die Unternehmen nach der Auflösung ihrer steuerfreien Rückstellungen nicht mehr Steuern zusätzlich zahlen müssen, als das Bundesfinanzministerium ursprünglich ausgerechnet hatte – nach Angaben der Verbände läge die tatsächliche Mehrbelastung durch die buchstabengetreue Anwendung des Gesetzes erheblich höher. Nun folgt dem Steuerentlastungsgesetz möglicherweise schon wieder ein Änderungsgesetz, das eine Höchstgrenze festsetzt. Es wird aber gemunkelt, daß auch neue Schlupflöcher im Gespräch seien.
Für die übrigen Branchen ist die erste Stufe der Steuerreform mit dem heutigen Entscheid gegessen. Sie konzentrieren sich bereits darauf, wie sie die finanziellen Vorteile, die sie bislang von den diversen Abschreibemöglichkeiten hatten, durch eine allgemeine und möglichst großzügige Senkung der Steuertarife wiedererlangen können. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Schließlich hat die Bundesregierung schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben, daß sie die Besteuerung von Unternehmen bis zum Jahr 2000 reformieren will und sich dabei sogar auf eine Höchstgesamtbelastung von 35 Prozent festgelegt. Seit Dezember bastelt eine Expertenkommission an der Umsetzung. Im April will sie die Eckpunkte vorlegen, damit der Gesetzentwurf bis zum Sommer eingetütet ist.
Ein für Ende Februar angekündigter Zwischenbericht mußte allerdings bereits mangels Ergebnis ausfallen. So ist bislang nur klar, daß die Bundesregierung sämtliche Unternehmenssteuern zu einer rechtsformneutralen Betriebsssteuer mit einem einheitlichen Steuersatz zusammenfassen will. Darunter fielen dann die Körperschaftssteuern für Kapitalgesellschaften und Betriebe sowie die gewerbliche Einkommenssteuer für selbständig Tätige. Bislang klaffen die Tarife erheblich auseinander. So muß eine Möbelfabrik als Körperschaft 40 Prozent ihres Gewinns versteuern, während ein Schreiner als Selbständiger je nach Gewinnlage irgendwo zwischen dem Eingangssteuersatz von 23,9 und dem Spitzensteuersatz von 48,5 Prozent liegt. Bei einem Gewinn von über 48.000 Mark käme bei beiden noch die Gewerbesteuer hinzu.
Nach den Plänen der Koalition zahlen Schreiner wie Fabrik künftig nur noch 35 Prozent – inklusive Gewerbesteuer. Zurückgerechnet heißt das: Die Tarife für die Körperschafts- und Einkommenssteuern könnten kaum noch über 23 bis 25 Prozent liegen. Allerdings haben Experten Zweifel angemeldet, ob es steuersystematisch, aber auch verfasssungsrechtlich überhaupt möglich ist, die gewerbliche Einkommenssteuer von der privaten zu trennen und den Höchststeuersatz für letztere weiterhin bei 48,5 Prozent zu halten. Der Trend geht dahin, das Problem erst einmal zu umgehen, indem Einkommens- und Betriebssteuer getrennt bleiben, Selbständige aber wählen dürfen, unter welches Steuerrecht sie fallen wollen.
Das wiederum könnte so manchen überfordern, befürchtet Dieter Vesper, Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Zum Zeitpunkt der Entscheidung kann man womöglich gar nicht abschätzen, was günstiger ist.“ Bei der PDS hält man es für „ein verfassungsrechtliches Problem, daß Lohnsteuerzahler auch nicht die Möglichkeit haben, sich die günstigsten Steuersätze auszusuchen“.
Auch wie die Gewerbeertragssteuer in das Konzept integriert werden soll, ist noch offen. Bislang wird sie von den Kommunen erhoben, die sie durch einen eigenen Hebesatz erhöhen oder auch vermindern und damit entweder ihre Finanzen aufbessern oder Unternehmen Geschenke machen können. Die Spanne reicht von 0 bis 500 Prozent des sogenannten Steuermeßbetrages. „Mit einer Abschaffung träfe man die Wurzeln der Selbständigkeit der Städte – und ihre Haupteinnahmequelle“, warnt der Deutsche Städtetag. Der Landkreistag fordert, daß die Kommunen dann eben bei der Betriebssteuer Hebesätze bekommen müßten. Der Wirtschaftsweise Rolf Peffekoven würde die Kommunen dagegen lieber stärker an der Mehrwertsteuer beteiligen. Damit ginge denen jedoch die Finanzautonomie verloren.
Das größte Problem dürfte allerdings die Finanzierung sein. Die Unternehmerverbände haben bereits vehement darauf hingewiesen, daß sie sich von der Steuerreform insgesamt eine Nettoentlastung versprechen und mit der ersten Stufe schon eine Vorleistung erbringen. Nach den Berechnungen des Finanzministeriums liegt die aber insgesamt gerade mal bei 4,5 Milliarden Mark, wobei der Mittelstand sogar um 5,5 Milliarden Mark entlastet wird, während die Großkonzerne rund 10 Milliarden Mark draufzahlen. DGB- Steuerexperte Hans-Georg Wehner warnt davor, auf einen Selbstfinanzierungseffekt zu hoffen – nach dem Motto: „Niedrigere Steuern lassen die Wirtschaft brummen und entlasten so die Staatskassen wieder.“ Damit überschätze man die Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Direktinvestitionen.
Die grüne Realo-Fraktion hat in ihrem jüngsten Initiativpapier gezeigt, wo sie die Steuerermäßigungen hernehmen will: Mehrwertsteuererhöhungen und soziale Einschnitte. Allerdings bleibt abzuwarten, inwieweit die eigene Partei und die SPD bereit sind, diesen Kurs mitzumachen.
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