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KommentarTotgesagte leben länger

■ Das IOC zelebriert die Unentbehrlichkeit seines Präsidenten

„Das IOC war schlicht zu ängstlich zuzugeben, daß der Kaiser keine Kleider mehr trägt“, sagte ein Angehöriger des Organisationskomitees der Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City nach der Samaranch-Show von Lausanne. Doch viel peinlicher: Das IOC tat nicht nur so, als stünde sein Monarch noch im vollen kaiserlichen Ornat, sondern feierte den 78jährigen Spanier auch noch als Hoffnung für die Zukunft. Während in der Öffentlichkeit allenthalben der Rücktritt des IOC- Präsidenten gefordert wird, bejubelten ihn die IOC-Mitglieder mit stehenden Ovationen, sprachen ihm mit honeckerhafter Fasteinstimmigkeit das Vertrauen aus und gaben dem starrköpfigen Granden das Gefühl, weiterhin der unanfechtbare Inbegriff olympischer Tugendhaftigkeit zu sein. Staunend und fassungslos schaut die Welt zu, wie eine Organisation, die von jahrelangem Sittenverfall und moralischer Austrocknung geprägt wurde, den obersten Verantwortlichen nicht nur freispricht, sondern den fälligen Erneuerungsprozeß ausgerechnet in seine Hände legt.

Solches Treiben spricht für mangelndes Unrechtsbewußtsein, himmelschreiende Selbstgerechtigkeit und tiefverwurzelten Trotz – doch das ist es nicht allein. Dem Festhalten an Samaranch liegt auch Hilflosigkeit zugrunde. „Samaranch muß bleiben, sonst wird der gesamte Reformprozeß vom Kampf um seine Nachfolge destabilisiert“, weiß Michael Payne, Marketingdirektor beim IOC. Solange der Präsident die minimalsten Maßnahmen zur Befriedung der Kritiker durchsetzen kann, wie den Ausschluß einiger Sündenböcke, sanfte Reformen und ein leicht modifiziertes Auswahlverfahren für Olympiastädte, läßt man ihn lieber gewähren, als sich in ein unkalkulierbares Chaos zu stürzen.

Dies ist durchaus im Sinne der Sponsoren, die zwar eine Runderneuerung des IOC fordern, aber vor allem möchten, daß wieder Ruhe einkehrt. Das gleiche gilt für jene Politiker, die große Worte schwingen, sich aber ebensogern im Glanz olympischer Erfolge sonnen. „The Games must go on“ heißt die Devise, Sydney 2000 ist nicht mehr fern, und das schöne Geschäft möchte man sich ungern verderben lassen.

Der nackte Kaiser wird also weiter gebraucht. Angesichts der Lage im IOC muß man schon froh sein, wenn in zwei Jahren das Höchstalter für den Präsidenten nicht auf 85 Jahre hinaufgesetzt wird. Totgesagte leben länger. Matti Lieske

Bericht Seite 18

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