Die Versäumnisse des Lebens

Respektables Debüt: Curtis Burz' Aids-Stück „Paul“ im Freien Theaterhaus uraufgeführt  ■ Von Axel Schock

Aids hat als soziales wie medizinisches Phänomen die 80er Jahre beherrscht wie sonst keine andere Krankheit in den vergangenen Jahrzehnten. Die Auswirkungen auf unser Verständnis von Sexualität und das Reden darüber sind nachhaltig. Auch in den Künsten fand dies seinen Niederschlag, mit Agitprop von ACTUP und Künstlergruppen wie „General Idea“, mit Theaterstücken wie „Engel in Amerika“ oder „Pterodactylus“. „Tony Kushner packte Aids in ein monumentales Polit- Drama, Nicky Silver in eine groteske Farce. Die Banalitäten des alltäglichen (Zusammen-)Lebens mit Aids kamen dabei oft zu kurz. Der 28jährige Autor und Schauspieler Curtis Burz hat sich für sein Debüt als Dramatiker genau solch einen Moment herausgegriffen.

Paul hat seinen Lebensgefährten bereits an die Krankheit verloren und kehrt nun, begleitet von seinem besten Freund Doug, zum Sterben in sein Elternhaus zurück. Vier Menschen – Vater, Mutter, Sohn und Freund – versuchen einander zu begegnen, sich anzunähern, die letzte verbleibende Zeit zu nutzen, um die lebenslange Entfremdung aufzuheben.

Uraufgeführt wurde dieser erste Teil einer geplanten Trilogie nun als Eigenproduktion in den Räumen des ehemaligen Freien Schauspiels. Diese werden seit kurzem von Michael Münzberg, der zuletzt beim Kindertheater Klecks engagiert war, als Freies Theaterhaus genutzt. Kommenden Dienstag hat dort die erste Kindertheaterproduktion, „Dschungelbuch“, Premiere, danach folgt mit der Inszenierung von Münzbergs eigenem Stück „David“ die erste Inszenierung für Erwachsene.

Bevor nun aber im April „David“ auf der Bühne des Theaterhauses zu sehen sein wird, ist dort erst einmal „Paul“ zu Gast. Curtis Burz kommt in seinem Stück ohne große dramaturgische Umwege und Extravaganzen aus. In seinen meist recht kurzen Szenen auf der ganz mit weißen Stoffbahnen ausgeschlagenen Bühne stoßen die Figuren aufeinander und wagen doch nicht wirklich den Zusammenprall. Ihre Ängste, ihre Enttäuschungen und ihre Unfähigkeit, miteinander zu reden, macht sie unsicher und übervorsichtig. Der Vater (Thomas Lilge) muß sich eingestehen, daß er mit seinem Sohn eigentlich niemals so recht etwas anzufangen wußte. Doug (Peter Platiel) verschanzt sich hinter einer konsequenten guten Laune, um den drängenden Gedanken an Pauls baldigen Tod nicht zulassen zu müssen.

Die eindringlichsten Szenen jedoch gehören Paul und seiner Mutter, auch deshalb, weil Curtis Burz und Eva Plackner darstellerisch über ihre Mitspieler hinausreichen. Ihnen gelingt es, die Stimmung der Verunsicherung und Fremdheit mit einfachsten Mitteln spürbar zu machen (Regie Heike Schmidt/Marianne Tisea). Der Ton ist eher leise, die Pausen zwischen den Sätzen sind quälend, weil sich beide bewußt sind: Die Versäumnisse eines Lebens lassen sich in diesen letzten Tagen nicht mehr nachholen. Ein kleines, respektables Gebrauchsstück in einer gefühlvollen und doch niemals larmoyanten Inszenierung.

Nächste Vorstellungen heute und morgen sowie vom 26. bis 28.3., 20 Uhr, Freies Theaterhaus, Pflügerstraße 3