Kicken gegen den Vernichtungskrieg

Morgen will die zapatistische Rebellenarmee die Mexikaner zu einer Verfassungsänderung befragen. So soll die Regierung gezwungen werden, ein Abkommen für die Rechte indigener Völker umzusetzen    ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Zwanzig Sekunden nach dem Anpfiff fällt das erste Tor gegen die Spieler in den schwarzroten Trikots. Ohrenbetäubendes „Buh“ dröhnt von den Rängen, schon zwei Minuten später landet der Ball wieder zwischen den Pfosten. Das Gast-Team muß sich an die verpestete Höhenluft von Mexiko-Stadt wohl noch gewöhnen. Ihre Gegner sind ehemalige Spieler aus der ersten mexikanischen Liga. In einem richtigen Stadion haben die Schwarzroten noch nie gespielt, und dann gibt es da noch ein weiteres Hindernis: Alle wetzen mit wollenen Skimasken über den Rasen. Dennoch ist es ein Heimspiel für das „Zapatistische Team zur Nationalen Befreiung“: Tausende Zuschauer feuern die Maskierten frenetisch an, für jeden gelungenen Paß gibt es Szenenapplaus.

Erst am Vorabend waren die Kikker mit rund zweihundert weiteren Delegierten aus den Dörfern der „Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung“ (EZLN) im Südosten Mexikos in der Hauptstadt eingetroffen. Insgesamt sind es fünftausend indigene Männer und Frauen, die – immer geschlechterparitätisch – seit einer Woche in die gesamte Republik ausschwärmen, um für die landesweite „Volksbefragung für die Anerkennung der Rechte der indigenen Völker und das Ende des Vernichtungskriegs“, kurz: die „Consulta“ zu werben.

Die Umfrage ist ein erneuter Versuch der EZLN, die sich am 1. 1. 1994 in Waffen gegen die mexikanische Regierung erhoben hat, diese zu einer friedlichen Lösung der Krise zu zwingen. Denn die vor drei Jahren unterzeichneten Abkommen von San Andrés über indigene Selbstbestimmungsrechte (siehe Kasten), sind bis heute aufgrund der Blockadepolitik der Regierung eine Totgeburt. Gleichzeitig setzen Bundesarmee und regierungstreue paramilitärische Gruppen im Bundesstaat die RebellInnen unter Druck.

Ob die Abkommen jemals umgesetzt werden, hängt nun von dem zivilgesellschaftlichen Druck auf Parteien und Parlament ab. Ebendazu sollen sich am Sonntag die knapp 100 Millionen MexikanerInnen per Stimmzettel äußern.

Die Logistik, die sich in den letzten Monaten rund um die Consulta entfaltet hat, ist irrwitzig und beeindruckend. Mehr als 15.000 Freiwillige richten allerorten Info-Büros ein, kleben Plakate, organisieren Solidaritätskonzerte und karren die indianischen Delegierten durch die Lande. Zwanzigtausend selbstgebastelte Wahlurnen sollen bis Sonntag im ganzen Land aufgestellt sein. „Geld ist keines da, dafür aber jede Menge guter Willen“, lobt Enrique Calderon Alzati, Vorsitzender der Rosenblueth-Stiftung, die als professionelles Umfrageinstitut der EZLN unter die Arme greift.

In der Hauptstadt haben die Maskierten, die zur größten Verwunderung der Passanten in kleinen Trupps kreuz und quer durch die Metropole ziehen, einen prall gefüllten Terminkalender: Besuche bei städtischen Indio-Camps, in Grundschulen und Zeitungsredaktionen, Treffen mit Gewerkschaftlern und Frauengruppen, Kulturfestivals und feierliche Kranzniederlegungen. Dabei beweisen sie wie immer einen ausgeprägten Sinn fürs Symbolische: Nach einem Treffen mit Stadtverordneten werden die Zapatisten von den Politikern in eines der legendären Restaurants der Altstadt eingeladen. Just dort hatten 1914 auch die revolutionären Truppen von Bauernführer Zapata nach dem Einmarsch in die Hauptstadt gefrühstückt.

Selbst die rechtsliberale Tageszeitung Reforma wertet die Consulta unabhängig von ihrem quantitativen Ergebnis „schon jetzt als Erfolg“. Sie beweise einmal mehr, „daß diese Bewegung existiert – und daß sie breite soziale Zustimmung genießt“. Allein die Regierung findet das Referendum „völlig absurd“. „Die rhetorischen Fragen sind doch von vornherein abgekartert“, monierte etwa Innenminister Francisco Labastida. Es seien aber wohl einfach nur die falschen Fragen, glaubt der Schriftsteller Carlos Monsivais und schlägt den Regierenden stattdessen eine „wirklich patriotische“ Umfrage vor: „Sind Sie damit einverstanden, daß die Indios nur die Privatisierungen behindern? Sind Sie damit einverstanden, daß der allerbeste Indio derjenige ist, der schön still in seinem Eckchen bleibt und sich in einen Kaktus verwandelt?“

Wie viele Punkte die RebellInnen mit der Consulta langfristig machen können, bleibt vorerst abzuwarten. Am vergangenen Montagnachmittag gingen sie mit fünf zu drei geschlagen vom Fußballplatz. Am Rand des Spielfeldes aber tröstete sich ein Fan: „Die Zapatisten gewinnen eben auch, wenn sie verlieren.“