Endlich sinnvoll Straßen planen

Die von Rot-Grün geplante Reform des Verkehrsplans sei dringend nötig, so das Resümee einer Expertentagung. Neubauten schufen oft mehr Probleme, als sie lösten  ■ Von Thorsten Denkler

Bonn (taz) – Hattingen ist eine kleine Stadt in der Nähe von Esslingen. Schöne Altstadt, nette Kneipen und viel grün drumherum. Aber der Schein hat einen Kratzer: Seit den 60er Jahren schwebt der Bau der Autobahn Düsseldorf–Bochum–Dortmund wie ein Damoklesschwert über der Region. „Sie würde ein Naherholungsgebiet zerschneiden“, empört sich Eberhard Wedding. Er ist wie viele gegen die „DüBoDo“ und arbeitet in einer BI, die den Bau seit 25 Jahren bekämpft.

BIs wie in Hattingen gibt es Land auf Land ab. Die einen kämpfen gegen Autobahnen, die anderen dagegen, je nach Standort. Eins aber haben alle gemein: Sie brauchen einen langen Atem. Planungszeiten von bis zu 30 Jahren sind keine Seltenheit.

Wenn es nach Joachim Westermann ginge, dann wüßten viele BIs schon bald, woran sie sind: „Wir müssen sagen, was geht, und was nicht“, forderte der Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Verkehrsministerium vorgestern auf einer Tagung zur Reform des Bundesverkehrswegeplan (BVWP) von Friedrich-Ebert-Stiftung und BUND in Bonn. Für ihn haben viele angedachte Straßenprojekte eher den Charakter von Wahlversprechen: Er kann nicht verstehen, daß Politiker durch die Lande reisen und allerorten Umgehungsstraßen versprechen.

Weit über acht Milliarden Mark werden Jahr für Jahr in den Ausbau des deutschen Verkehrswegenetzes gepumpt. Das ist der größte Investitionshaushalt, der einem Bundesministerium untersteht. Bisher, so die einhellige Meinung der vorgestern in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung anwesenden Verkehrsexperten, sei das Geld oft zum Fenster rausgeworfen worden. Das Wort „Nachhaltigkeit“ spielte bislang kaum eine Rolle. Nie wurde geprüft, ob man mit der neu gebauten Straße mehr Probleme schafft als löst. Alle im Verkehrswegeplan ausgewiesenen Projekte sollten daher besser noch einmal auf den Prüfstand. So sieht es auch der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen vor.

Im BVWP des Verkehrsministers sind bislang alle Straßenbauprojekte nach Dringlichkeitsstufen aufgelistet. Je nachdem, wie hoch der Nutzen und wie gering die Kosten, findet es seinen Rang. Die wird dann nach und nach abgearbeitet, abhängig von den Finanzen – und die sind meist knapp.

Nach Auffassung von Rudolph Petersen, Verkehrsexperte vom Wuppertal-Institut, könnte das Verkehrswachstum und damit der Bedarf an kostspieligen Straßen eingedämmt werden, wenn Mobilität teurer würde. Wirtschaftlich notwendige Fahrten machten nämlich nach seinen Berechnungen gerade noch die Hälfte des Autoverkehrs aus. Die andere Hälfte bestehe nach seinen Berechnungen aus Freizeit- oder Einkaufsfahrten. Je besser die Verkehrsanbindungen, desto eher fährt man ein oder zwei Orte weiter, um ins Einkaufszentrum auf die grüne Wiese zu kommen. So produzierten neue Straßen die Probleme, die sie eigentlich lösen sollten.

Auch der für den BVWP zuständige Ministerialdirektor im Verkehrsministerium will den Ausbau der Infrastruktur nicht mehr an das Kosten-/Nutzen-Prinzip koppeln. Jedes Projekt müsse in Zukunft auch auf ökologische, soziale Kriterien hin untersucht werden, verlangt Ulrich Schüller. Auch er hält den BVWP für überladen: „Wer zu mir kommt und will ein neues Projekt anmelden, soll mir zwei nennen, die ich von der Liste streichen kann.“

Das ist dem Umweltbundesamt freilich nicht genug. Es fordert eine völlige Abkehr vom geltenden System: Der BVWP müsse Zielvorstellungen über Mobilität in Deutschland entwickeln und nicht allein der Nachfrage folgen. Eine Idee, die auch Werner Rothengatter von der Universität Karlsruhe auf der Bonner Tagung vertrat. Er forderte eine Abkehr von der Planung auf Projektebene. Das Verkehrsnetz müsse als Ganzes wahrgenommen werden. Nur so werde man den Mobilitätsanforderungen der Zukunft gerecht.

Neue Ideen müssen also her, wie die bestehenden Verkehrswege intelligenter genutzt werden können. Die Deutsche Bahn etwa will lieber das bestehende Schienennetz modernisieren, als neue Strecken bauen. Davon verspricht sich Artur Stempel, Bereichsleiter Infrastruktur bei der Bahn, eine Steigerung der Auslastung des wertvollen Netzes um ein Drittel. Eine Nachricht, die Umweltschützer wie Peter Westenberger vom BUND mit Freude hören.

Bis Ende der Legislaturperiode soll der neue BVWP vorliegen. Solange die „DüBoDo“ darin nicht als dringlich eingestuft wird, kann sich Eberhard Wedding zurücklehnen: „Dann haben wir noch 20 Jahre Ruhe.“