Hochzeit in Ginkgos Wipfeln

■ Baumparlamentarier Ben Wargin besorgte einen Bräutigam für seine große Liebe. Das Ginkgobaumweibchen in der Humboldt-Uni vermählte er mit Zweigen eines männlichen Gegenparts

Für Brandenburgs Ministerpräsidenten Manfred Stolpe ist er „Lebensspender“, für die ehemalige Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Hanna-Renate Laurien, „stärkt er das Vertrauen in die Schöpfung“, und Aktionskünstler Otto Dressler mag an ihm, daß er zumindest „aufrecht stirbt“. Der asiatische Ginkgo, „Baum des Jahrtausends“, „vielbedichtetes Symbol der Liebe und Zweieinigkeit“, kam gestern in Berlin zu neuen Ehren – und mit etwas Glück demnächst zu Nachwuchs.

Ben Wargin, Baumparlamentarier und Lindentunnel-Initiator, ließ zu diesem Anlaß nicht nur Prominente philosophieren. Für den im Hof der Berliner Humboldt-Universität (HUB) stehenden Ginkgo-Baum ließ Wargin gar einen Lebensgefährten einfliegen, zumindest in Teilen: Drei Äste eines 90 Jahre alten männlichen Artgenossen aus der japanischen Hauptstadt – die das Ginkgoblatt im Wappen führt – wurden mit dem Berliner Exemplar „vermählt“. Unter offizieller Aufsicht nicht nur des Grünflächenamtes Mitte, sondern auch des japanischen Botschafters, Kunisada Kume. „Der Begriff Partnerstadt“, meint der, „bekommt durch diese Aktion eine neue Qualität.“ Und das immerhin im Jahr des Kulturaustausches zwischen beiden Ländern – „Japan in Deutschland“, nun also auch über Ginkgo-Wipfeln. Kume lobte die „Hartnäckigkeit Wargins, ohne die das Projekt nicht zustande gekommen wäre“.

Der Baum hat in Japan nicht nur religiöse Bedeutung – er ist Kult. Der Botschafter kam mit Ginkgo-Krawatte. Die hatte Volker Hassemer zwar vergessen, dennoch sah sich der Chef der Stadtmarketing-Firma „Partner für Berlin“ veranlaßt, nicht nur als Trauzeuge, sondern zugleich als Vorkämpfer für grünere Innenstädte aufzutreten: „Eine freundliche Aktion, aber uns ist das Thema ernst.“ Trotzdem freue man sich, so Hassemer, „wenn die Verbindung Früchte trägt“.

Doch nicht Früchte sind das Ergebnis der Baumvermählung, mußte sich der einstige Umweltsenator belehren lassen – lediglich Samen werden aus dem deutsch- japanischen Joint-venture sprießen – und irgendwann vielleicht ein neuer Baum. Am Vormittag wurde die „Hochzeit“ vollzogen, die durch das fachmännische Zusammenbinden des deutschen und des japanischen Geästs nicht nur kulturell, sondern auch biologisch Blüten treiben soll.

Gärtner Thomas Karlo stutzte vorhandene Äste, um mit Bast die männlichen Import-Gehölze anzubringen. In einem halben Jahr sei eine Besamung möglich. „Normalerweise werden männliche und weibliche Ginkgos nebeneinander gepflanzt“, sagte Karlo, „hier muß man eben nachhelfen, macht man im Zoo ja auch.“

Trotz der geschlechtsspezifischen Eigenheiten ist der Ginkgo ein zäher Bursche: Die Eiszeit hat der „Ginkgo biloba“ überdauert, sogar nach der Katastrophe von Hiroshima bildeten dortige Exemplare weiterhin Triebe. Das auch „Entenfußbaum“ genannte 250 Millionen Jahre alte Gewächs zeigt sich als Überlebenskünstler, der bis zu 2.000 Jahre alt werden kann. Ein also „durchaus angemessenes Symbol“, fand HUB-Präsident Hans Meyer, hat sich die Universität 1860 in ihren Lichthof gepflanzt. Dieses weibliche Prachtexemplar mißt inzwischen 25 Meter Höhe und 3,10 Meter Stammumfang und steht links vom Eingang der heutigen Humboldt-Universität, fast 150 Jahre lang, trotzig und schön – aber steril.

„Green Ben“ Wargin war schon vor 50 Jahren auf das universitäre Exemplar gestoßen: „Liebe auf den ersten Blick“, sagt Wargin über seinen Lieblingsbaum. Eine Liebe, die heute ihre Erfüllung fand, auch wenn der Bräutigam aus Tokio eingeflogen wurde.

Künftig sollen Ginkgos zum Stadtbild gehören: Auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) wird für Wargins Initiative zwar nicht philosophieren, dafür aber einen Ginkgobaum in der Knaackstraße pflanzen. Christoph Rasch