■ Richard Schröders Gegenvorschlag zum Holocaust-Mahnmal
: Doppelte Lesarten

Langsam, fast etwas mühselig formieren sich anscheinend die Lager in der Debatte um das Berliner Holocaust-Denkmal. Von Beginn an kritisierte eine freilich selbst in sich gespaltene Fraktion den Versuch, den Holocaust ästhetisch (und ohne politische oder moralische Botschaft) darzustellen. Viele mochten sich mit einem wort- und erklärungslosen Kunstwerk nicht anfreunden. Eisenmans Stelenfeld, ein Labyrinth ohne Türen, verzichtet auf eine eindeutige Message; dafür kann man darin etwas am eigenen Leibe erfahren und womöglich die Ahnung einer klaustrophobischen Erfahrung machen. Zu lernen ist hier im klassischen Sinn nichts. Das Eisenman-Modell löst die unvermeidlichen Ambivalenzen jeder Annäherung an den Holocaust nicht auf; er formuliert sie.

Naumanns Idee, Eisenman mit einem Museum zu kombinbieren, war der inzwischen ins Abseits geratene Versuch, Kunst und Pädagogik zu addieren. Die Politik/Moral-Fraktion sammelt sich anscheinend eher hinter Richard Schröders Vorschlag, das Kunstwerk durch die hebräische Inschrift „Nicht morden“ zu ersetzen. Rau ist dafür, die Kirchenoberen sind dafür; daß Diepgen dafür ist, mag dem Vorschlag scheinbar helfen – als ernstzunehmende Stimme hat sich Diepgen längst aus der Debatte verabschiedet.

„Nicht morden“ – das ist eine schlichte moralische Botschaft. Schröders Idee vertraut auf die Kraft des Wortes, es setzt auf einen Appell und richtet sich an eine Gesellschaft, die offenbar Ermahnungen und die Erinnerung an zivilisatorische Grundlagen nötig hat. Schröders Vorschlag will nicht aufklären, sondern erziehen: „Nicht morden.“ Salopp gesagt: Das wußte man schon. Interessanter als die Oberflächenbedeutung ist die historische Begründung: Dieses Zitat, das Fünfte Gebot, ist „eine Reverenz an den fundamentalen Beitrag des Volkes Israel zur europäischen Kultur, zur moralischen und zur Rechtskultur“ (Richard Schröder). So soll dieses Zitat jüdische und christliche Tradition verklammern, es will betonen, daß das Christliche ohne das Jüdische nicht zu denken ist.

Die scheinbare Klarheit dieses Vorschlags täuscht; hinter ihm stecken unumgängliche Zwiespältigkeiten. Kann der Rückgriff auf die jüdische Tradition nicht auch als paternalistische Geste gedeutet werden? Kann die hebräische Inschrift nicht als platte Identifikation mit den Opfern gelesen werden? Ein Mahn- oder Denkmal im Land der Täter kommt um solche doppelten Lesarten nicht herum. Eisenman macht sie zur Grundlage seiner Idee; Schröder versucht sie in Eindeutigkeiten aufzulösen. Stefan Reinecke