Ein freundlicher Herr mit Schlitzohren

Italiens ehemaliger Regierungschef Romano Prodi gilt als Idealbesetzung für das vakante Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission. Doch der Wunschkandidat ziert sich. Er hat noch innenpolitische Pläne  ■ Aus Rom Werner
Raith

Ein Schwergewicht an Wirtschaftskompetenz sollte er sein, ein überzeugter Europäer, ein international angesehener Politiker, in Sachen Amtsführung absolut sauber und möglichst auch noch aus dem linken Lager stammen. Der Steckbrief, den Deutschlands Kanzler und amtierender EU-Ratsvorsitzender Gerhard Schröder vom künftigen Präsidenten der Kommission des Vereinigten Europas gezeichnet hat, paßt wohl auf keinen anderen so gut wie auf Italiens Ex-Ministerpräsidenten Romano Prodi.

Der heute 59jährigen sanierte in den 80er Jahren den maroden Staatskonzern IRI und führte später dessen Verstaatlichung durch, und zwar unter so breiter Aktienstreuung, daß auch die antikapitalistische Linke kaum etwas dagegen einwenden konnte.

Zu aller Überraschung wurde er 1996 Wahlsieger gegen den mit aller Medienmacht ausgestatteten Silvio Berlusconi – und dessen Schreiberlinge und Rechercheure konnten trotz allen Aufwands nicht einen einzigen Makel an Prodis weißer Weste finden. Als Regierungschef hat er dann Italien, dem niemand auch nur die geringste Chance gegeben hatte, in die erste Gruppe der Euro-Staaten geboxt.

1998 wurde Prodi durch die Sturheit des profilierungssüchtigen Chefs der Neokommunisten, Fausto Bertinotti, aus dem Amt gedrängt. Doch wer an ein Ende der politischen Karriere des Professors für Wirtschaftswissenschaften und Industriepolitik geglaubt hatte, der irrte. Innerhalb weniger Monate gelang es Prodi, eine eigene Formation „Demokraten für den Olivenbaum“ aufzubauen, mit dem durch seinen Antikorruptionskampf berühmten Ex-Staatsanwalt Antonio di Pietro in vorderster Linie. Laut Meinungsumfragen kann die Gruppe bereits auf weit über zwölf Prozent der Stimmen bauen.Die Linksdemokraten von Ministerpräsident Massimo D'Alema würde das ins Mittelmaß drücken.

Prodi ist zweifellos eine Ausnahmeerscheinung unter Italiens Politikern: immer freundlich, selbst in schwierigsten Lagen noch gutgelaunt, ganz anders als die verbissen dreinschauenden oder verkrampft staatstragend dahersalbadernden anderen Staatsleute. Wenn Berlusconi mit seinen Privatjets Globalität vorspiegelt, schwingt Prodi sich aufs Fahrrad und trifft dabei das Gefühl der Nation. Wo D'Alema sich auf Kongressen zelebrieren läßt, kommt Prodi verschwitzt im Bus oder neuerdings mit dem Zug an und redet mit dem Normalbürger. Wo andere mit perfekt gestyltem Messerhaarschnitt vor die Kameras treten, läßt er seinen Wirbel hinten so penetrant aufragen, daß dieser zu seinem Markenzeichen wurde.

Dabei ist er alles andere als ein Naivling – seine Schlitzohren, stöhnten Berlusconis Ratgeber, nachdem Prodi den Gegner im Fernsehen durch oft winzige Sticheleien völlig außer Fassung gebracht hatte, seien größer als die des alten Stehaufmännchens Giulio Andreotti. Doch im Gegensatz zu diesem greift Prodi weder zur Palastintrige noch zu Hilfen aus finsteren Kreisen, sondern stupst seine Gesprächspartner so lange, bis diese von selber in die richtige Richtung laufen. Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl kann ein Lied davon singen. Immer wenn er oder sein Finanzminister Theo Waigel das Draußenhalten der Italiener aus der Euro-Union als Garantie für die Stabilität der neuen Währung anzupreisen suchten, stand Prodi kurz danach auf dem Teppich und hielt ihnen so lange die längst vorbereiteten Kolumnen von deutschen Defiziten unter die Nase, bis Waigel am Ende sogar der Satz rausrutschte:“Von dem können wir alle noch lernen.“ Und wo die Spanier sich als künftige Führungsnation des Südens profilieren und die Italiener abhalftern wollten, kam Prodi standhaft so lange auf die von dem konservativen José Maria Aznar immer geleugnete Absprache für gegenseitige Hilfe zurück, bis der am Ende nur noch müde nickte.

Dennoch gibt es ein ernstes Problem für Prodis Kandidatur. So recht weiß er nämlich selbst nicht, ob er sie annehmen soll. Denn derzeit hat er ein einziges wichtiges Projekt: seinem Nachfolger D'Alema, der ihn voriges Jahr ohne die geringste Hilfe hatte abservieren lassen und der ihn nun gerne nach Brüssel fortloben würde, die politische Führung im Land, zumindest aber in der Linken streitig zu machen. Doch es geht Prodi dabei nicht nur um einen persönlichen Hahnenkampf. Er steht auch für eine andere Politik als D'Alema. Während dieser sich ganz in der traditionellen Art das alte System mit dem Primat der Parteivorsitzenden und ihrer Entourage restaurieren will, möchte Prodi ebendiese Strukturen für immer zerstören. Er wünscht sich eher lose, an Sachfragen orientierte Bündnisse, die allenfalls für Wahlen näher zusammenrücken, ansonsten sich aber die Partner suchen, mit denen sie jeweils ihre Anliegen am besten durchsetzen können. Als Präsident der EU-Kommission könnte er sich dieser Politik in Italien wohl kaum mehr widmen. Und unter seinem Partner Antonio di Pietro, der viel weniger politische Erfahrung hat, würde die neue Bewegung wohl kaum weiter vorankommen.

So hofft Prodi wohl zur Zeit eher, daß sich die EU-Spitzen erst mal auf einen Übergangskandidaten einigen, um dann, bei Ablauf des regulären Mandats Ende des Jahres, antreten zu können – dann ausgestattet womöglich auch noch mit einem großen Erfolg bei den Europawahlen.