■ Schlagloch
: Global players versus global majority Von Christiane Grefe

„Die Laterne hat ihr Verdienst, doch ihre Tage sind gezählt. Wir leben in der Ära der elektrischen Glühbirne.“ Indiens Premierminister Atal Bihari Vajpayee

Die Nachricht von Oskar Lafontaines Rücktritt erfuhr ich beim Vegetable Thali im indischen Bangalore. Via CNN – bar jeden politischen Hintergrunds. Das Welt- Deutungsmonopol hielten vielmehr flotte Frankfurter Finanzologen: Die Börsenkurse steigen!, verrieten sie den Reportern des News- Kanals; endlich weg der Phantast, der die Wirtschaft mit dem Primat der Politik zu lenken versuchte, schallt die Stimme der Globalisierung ins Restaurant. Die noch viel schneidender klingt, hat man gerade in dem Land, in dem vermutlich eine Milliarde Menschen leben, die sozialen und ökologischen Folgen des herrschenden Primats der Wirtschaft studiert.

Nützt doch dieses auch hier hauptsächlich jenen „global players“, die die Genesung des riesigen Subkontinents an ihrem alle Vielfalt uniformierenden Wesen empfehlen: an zentralisierender, energieintensiver Agro-Industrialisierung. An großen Staudämmen und Kohlekraftwerken, deren Aktionsrahmen die städtischen Megastrukturen sind. Und am vollklimatisierten Konsum: „Italian Lifestyle at Indian Prices“, so ein Plakat in Bangalore. Doch während die wachsende Mittelschicht diesen zu genießen beginnt, bleibt die dramatisch überwiegende Bevölkerungsmehrheit außen vor:

Drei Viertel der Inder sind Kleinbauern; das sind zwölf Prozent der Weltbevölkerung und doppelt so viele Menschen, wie die gesamte EU Einwohner hat. Und nicht nur gelten die elementaren Bedürfnisse dieser Familien als randständig. Die Dominanz großer Saatgutmonopolisten, die immer weniger gebremste Weltmarktkonkurrenz bei den cash crops und die teils bereits WTO- angepaßten Einschnitte bei Lebensmittelsubventionen berauben zudem immer mehr Farmer ganz ihrer Existenzgrundlagen. Die Massenflucht in die Slum-Vorhöllen von Bombay, Kalkutta und Delhi ist zwar nicht neu. Doch sie vollzieht sich rasanter denn je.

All diese Prozesse – Industrialisierung, Verstädterung im bläulichen Dunst giftiger Staus und steigendes Konsumniveau – jagen unaufhörlich Indiens Energieverbrauch in die Höhe: alljährlich um zehn Prozent. Kraftwerkskapazitäten für 84.000 Megawatt verbrennen vor allem umweltschädliche Kohle; bis 2007 sind bereits 140.000 Megawatt veranschlagt. Gleichzeitig nimmt die ruinöse Abhängigkeit von Öleinfuhren zu: Gab Indien 1965 noch acht Prozent der Exporteinnahmen für fossile Energieimporte aus, so waren es 1976 26 Prozent, 1985 30 Prozent, jetzt liegt die Zahl womöglich schon um die 40 Prozent. Wehe, die Opec erhöht die Preise!

Ungleich brisanter, als es Vajpayees Anspielung ahnen läßt, ist also jene „Ära der elektrischen Glühlampe“. Denn davon, mit welcher Energie das Land seine Modernisierung speist, hängt alles ab: die ökonomische Selbstbestimmung; die Qualität von Land und Luft; das Weltklima. Und vor allem, ob Hunderte Millionen Bauern, Handwerker und Kleinunternehmer, die von zentralen Stromnetzen nicht erreicht werden, auf dem Land in Würde überleben: Sie haben zum Bleiben nur dann eine Chance, wenn sie sich in regionalen Wirtschaftsstrukturen zur Arbeitserleichterung und Produktionssteigerung unabhängig die kostenlosen natürlichen Energiequellen nutzbar machen können.

Indien hat diese Alternative schon in den 80er Jahren erkannt. Und wurde darin 1991 ermutigt durch einen politischen „global player“, der bewies, welche Kraft Visionen eben doch entfalten können: Daß der damalige Vorsitzende der Nord-Süd-Kommission, Willy Brandt (in der Sache gecoacht vom SPD-„Solarfighter“ Hermann Scheer), damals in Neu- Delhi den Weg ins Solarzeitalter als zentrale Entwicklungsbotschaft pries und der vermeintlichen Zweite-Wahl-Technik so eine moderne Aura verlieh, setzte einen Impuls, den viele noch heute beschwören. Seither baute Indien eine eindrucksvolle Kollektoren-, Solarzellen- und Windkraftindustrie auf. Der Sproß einer der reichsten Industriellenfamilien, Radesh Bakshi, hat dänische Windkraft-Technologie tropischen Bedingungen angepaßt und verkauft die Generatoren – vorbildhafter Süd-Süd-Handel – erfolgreich von Botswana bis Korea. Indien ist das weltweit einzige Land mit einem eigenen „Ministerium für erneuerbare Energien“. Und auch wenn dessen Wirkungsgrad bisher gerade auf dem Land oft bürokratisch verpufft: Solartechnik wird zur Kühlung von Impfstoffen eingesetzt, für Telefone, Klimaanlagen, Beleuchtungssysteme. Und von der großzügigen Stromeinspeisungsgesetzgebung oder einer Vielfalt kreativer Kleinkredit-Modelle könnten sich die Europäer was abgucken.

Durch deren Wankelmut fühlen sich die Inder statt dessen immer wieder verunsichert bei der Verwirklichung ihres Ziels, in 15 Jahren 15 Prozent des kommerziellen Energiesektors aus erneuerbaren Ressourcen abzudecken. Wird doch in den Zentren der Globalisierung die Kohle- und Atomforschung und -versorgung noch immer ungleich höher als jene der regenerativen Energien gefördert. Eine Ökosteuer führen die industriellen Vorbilder Europa und USA nur zahnlos und bedenkenschwanger ein. Klimaschutzverpflichtungen setzen sie unzulänglich um und legitimieren dies mit dem angeblichen ihre „Verschmutzungsrechte“ ausgleichenden Ablaßhandel „joint implementation“. Und bieten den Indern weiter Kohleförder- und Kraftwerkstechnik nebst großzügigen Exportbürgschaften an.

Dabei gibt es eine Fülle von Anstößen, wie Europa Indien, das jetzt die zentralen Zukunftsweichen stellt, den Weg zu ökologischer Verträglichkeit und Gerechtigkeit bahnen helfen kann: Warum nicht, wie das EU-Parlament vorschlägt, analog zur Exportförderbehörde „Euroatom“ eine Agentur für solaren Energietransfer einrichten? Warum nicht die Arbeit des Europäischen Entwicklungsfonds auf die Förderung kleiner Energieunternehmen konzentrieren? Und eine „joint implementation“ der anderen Art einführen, wie dies „Eurosolar“ und die Münchner „WIP“ in dem Bericht „Photovoltaics for the World Villages“ oder soeben der grüne EU-Parlamentarier Wilfried Telkämper angeregt haben: mit „debt for solar swaps“ – also einem Schuldenerlaß der Geberländer gegen Programme für den Einsatz erneuerbarer Energien? Zudem sollten diese im neuen Lomé-Abkommen berücksichtigt werden.

Der Primat einer solchen Modernisierungs- und Klimapolitik käme schließlich nicht nur drei Vierteln der Inder zugute, sondern – inklusive China – 60 Prozent der Weltbevölkerung in ihrer ländlichen Lebensweise. Deutlich wird dabei, wie sehr der Gegensatz zwischen Politik und Wirtschaft ideologisch aufgebaut ist. Denn ökonomische Bedürfnisse werden in jedem Falle von Regierungen gesponsert. Die Frage ist nur, welche Wirtschaft den Vorrang erhält: die der „global players“ oder jene der global majority.