Raus aus dem Dönerbudenghetto

■ Türkische Traditionsinstrumente spielen bei dem androgynen Deutschländer Tarkan nur eine untergeordnete Rolle

Angenommen, Michael Jackson und Madonna geben ein gemeinsames Konzert in der Hamburger Sporthalle. Draußen im Schaukasten wird ihr Auftritt als „Folkloreveranstaltung“ angekündigt. Unvorstellbar? Gab's aber schon mal. Daß es mit Tarkan und Sezen Aksu der Michael Jackson und die Madonna der Türkei waren, deretwegen im Frühjahr 1997 Tausende nach Alsterdorf strömten, spielt keine Rolle.

Schließlich ist der Kern des Pop in Los Angeles kein anderer als in Istanbul, wo die Devise seit etwa 1990 lautet: Raus aus dem Dönerbuden- und Bauchtanz-Ghetto!

Damals begannen musikalische Traditionen mit dem Aufstieg privater Fernseh- und Radiosender in rasantem Tempo zu bröckeln. An die Stelle schnauzbärtiger Herren traten immer häufiger sebstbewußte junge Sängerinnen oder Beaus mit Dreitagebart und lässigem Hüftschwung.

Den beherrschte in den vergangenen Jahren niemand so gut wie der 26jährige „Deutschländer“ Tarkan Tevetoglu. Geboren und aufgewachsen in Hessen, ging er mit 15 in die Türkei und studierte dort klassiche türkische Musik. 1993 dann der Durchbruch als Popmusiker: Das Debütalbum verkaufte sich 700.000mal. Mit der dritten CD Ölürüm Sana („Ich bin verrückt nach dir“) bewegt sich Tarkan längst in siebenstelligen Regionen.

Türkische Traditionsinstrumente wie die Darbuka-Trommel oder die gitarrenähnliche Ud spielen auf den Platten und Konzerten des androgynen Charmeurs nur eine Nebenrolle. Durch die Songs pumpen Disco-Beats, über die Bühne wabert Trockennebel. Belanglos wird der meist recht simpel gestrickte Pop jedoch nie. Zu leidenschaftlich ist der Vortrag, zu ungezwungen die Art, mit der Tarkan vor allem seine jugendlichen Fans spielend um den Finger wickelt. So soll er einst in einer TV-Show herausposaunt haben, er müsse mal aufs Klo. Auch die gewöhnlich von der Liebe handelnden Texte sind Moralwächtern ein Dorn im Auge.

Auch in seinem aktuellen Gassenhauer „Simarik“ („Vorgezogen“) knistert es gewaltig. Wenn im Refrain die Instrumentierung aussetzt und Tarkan zweimal herzhaft ins Mikrophon schmatzt, herrscht auch in den Konzerthallen Europas kollektive Ekstase. In Frankreich und Belgien zeigte das Fieberthermometer bereits die Chartplazierung drei und eins an. Gut möglich, daß es hierzulande bald ähnlich aussieht. Es müssen ja nicht immer Michael Jackson und Madonna sein.

Jan Möller

Fr, 26. März, 19 Uhr, G 1