Den Sagmeister im Kopf

Nur eine gute Verdauung macht ihn froh: Magdalena Sadlon wirft in ihrem Romandebüt „Die wunderbaren Wege“ tiefe Blicke in die Seele eines normalen Ekels  ■ Von Klaus Nüchtern

Drei Jahre hat Magdalena Sadlon mit Jakob Sagmeister verbracht. Jakob Sagmeister, „vom Vorwurf des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses rechtskräftig freigesprochen, aber schon infolge der ersten Anschuldigungen wegen sexuellen Mißbrauchs von Schülerinnen und einer Nachhilfeschülerin zuerst beurlaubt und anschließend frühpensioniert“.

Jakob Sagmeister ist kein Monster. Er ist intelligent und auch nicht ohne Witz; einer, von dem man sich gut vorstellen kann, daß er seine Zeit damit verbringt, feingedrechselte Leserbriefe an die Presse zu schreiben. Kurz und gut, er ist, so Magdalena Sadlon, „ein Prototyp unserer Gesellschaft“, einer, der es liebt, „ein bißchen zu meckern und klugzuscheißern“. Als Sadlon eines Tages einen Zettel auf ihrem Arbeitsplatz mit der Mitteilung „Jakob war hier“ fand, verbot sie ihrer Freundin, „solche Dinge zu schreiben. Denn so ein Mensch kommt mir nicht in die Wohnung“.

Natürlich war Jakob nicht in Magdalena Sadlons Wohnung. Er hauste in ihrem Kopf. Jakob Sagmeister ist der Protagonist von Sadlons erstem Roman „Die wunderbaren Wege“. Davor hatte die Autorin zwei Bücher mit experimenteller Lyrik respektive Prosa herausgebracht, fand dann aber, daß es jetzt an der Zeit sei, „auch einmal verstanden zu werden“. Also hat sie sich den „wunderbaren Wegen“ zugewandt.

Schnell noch vor Erscheinen des Buches ist Sadlon nach Deutschland abgereist, denn Lesungen oder anderen öffentlichen Auftritten will sie unbedingt aus dem Weg gehen. Was insofern etwas seltsam ist, als Sadlon ihr Berufsleben eigentlich als Schauspielerin begonnen hat. Damit ist es freilich längst vorbei: „Ich habe das gelassen, weil ich die Öffentlichkeit nicht mag. Ich hatte viel Lampenfieber. Und bei diesen Ein-Stunden-allein- Abenden, die ich gespielt habe, konzentriert man sich letztlich nicht auf die Sache, sondern nur auf sich selbst.“

Genau das kann man dem Roman nicht vorwerfen. Bewußt wollte Sadlon autobiographische Bezüge vermeiden, gesteht allenfalls zu, das Schreiben auch als Ventil genutzt zu haben: „Die Hauptfigur ist ein Mann, weil eine Frau solche Dinge nicht sagen kann. So habe ich die Möglichkeit gehabt, meine Schweinereien rauszulassen, ab und zu einen bösen Gedanken zu haben, den ich mir vielleicht ansonsten verbiete. Das ist aber sicher nicht die Triebfeder für die Figur gewesen. Gemocht habe ich Jakob aber nie.“

Zu mögen gibt es auch nicht allzuviel. Jakob Sagmeister ist ein Misanthrop, einer, der die Frauen „begehrt“, ohne sie zu mögen, einer, der die „sanften Revoluzzer“ ebenso verachtet wie die versoffenen Verlierertypen. Das einzige, woran er wirklich Freude zu haben scheint, ist eine geregelte Verdauung, sind die Rituale, die einen von Unvorhersehbarkeiten stets gefährdeten Alltag befestigen. Man könnte Mitleid mit diesem Menschen haben, dessen Einsamkeit „einfach nur ärgerlich einsam und langweilig“ ist, wäre diese Einsamkeit nicht zugleich selbstverschuldet und selbstgewählt: „Was ist schon eine Grippe, mag sie auch zwei Wochen dauern, gegen das permanente Angleichen der eigenen Bedürfnisse an die eines Partners; in jeder Situation?!“

Es stimmt schon: „Die verpaßten Möglichkeiten gehören zum Leben!“ Fragwürdig wird diese Einsicht erst durch das Rufzeichen. Erst durch das dröhnende Bekenntnis zum Indikativ der Faktizität wird klar, daß hier einer, der sich zur Vorhut der Meinungsgesellschaft zählt, von den Zumutungen der individuellen Lebensgestaltung befreit werden will wie vom Turnunterricht.

Das bestechendste an Sadlons wunderbarem Romandebüt ist, daß hier nicht einfach ein „Psychogramm“ oder gar ein pathologischer Befund erstellt wird. Mit subkutaner Ironie nähert sich Sadlon ihrem Helden bis zur Mimesis an und bleibt doch auf Distanz. Darin erinnern „Die wunderbaren Wege“ ein wenige an Sibylle Lewitscharoffs mit dem Bachmann- Preis bedachten Text „Pong“. Im Unterschied zum luziden Wahn Pongs überschreitet das System Sagmeister, das in Sadlons Roman rekonstruiert wird, aber kaum je die ausfransenden Grenzen einer unauffälligen „Normalität“. Sadlon gelingt es, die rationale Verfaßtheit einer keineswegs bloß privaten Ideologie freizulegen. Ihr Augenmerk gilt nicht so sehr dem psychischen Bodensatz als der manifesten Oberfläche, dem beachtlichen argumentativen und rhetorischen Aufwand, den einer wie Sagmeister betreibt, um die eigenen Vorurteile zu begründen.

Dieser philosophisch und theoretisch inspirierte Blick, den die Montaigne-, Musil- und Canetti- Leserin auf ihren Protagonisten wirft, verdankt sich wohl auch ihrer „kommunistischen Erziehung, wo man als Rädchen erzogen wurde“. 1968 kam Magdalena Sadlon im Alter von zwölf Jahren aus der Slowakei nach Österreich. Eine Zeit, an die sie sich nicht ungern erinnert: „Die Ankunft hier war sehr schön. Mit Ausländern ist man damals eigentlich ganz anders umgegangen. Das war sehr, sehr okay.“ Signifikant geändert hat sich das vor zehn Jahren, meint Sadlon. Und vermutet, daß dahinter vor allem ökonomische Ursachen stecken: „Die Meinung, daß die Ausländer die Arbeitsplätze wegnehmen, all das hat's früher noch nicht gegeben.“ Sadlon registriert das alles mit einem gewissen Stoizismus. Sie mag die Sprache, die sie mit hörbarem Akzent spricht, sie mag Wien, sie mag die Cafés. Und die Menschen?

„Das ist ja das Umfeld, in dem wir uns in der Stadt bewegen, und nur in geschützten Räumen leben mag ich nicht. Ich glaube, achtzig Prozent der Leute, die man in der Trafik oder im Wirtshaus trifft, sind so wie Jakob. Ich schau halt gerne zu und mache mir meine Gedanken. Dafür brauch' ich sie, das ist mein Futter. Ich kann sie nicht ändern, ich sehe sie mir nur an und wundere mich.“

Magdalena Sadlon: „Die wunderbaren Wege“. Roman. Zsolnay Verlag, Wien 1999, 192 S., 27 DM