Der Film gehört denen, die ihn sehen

■ „Park Fiction ...die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen“ – Gestern feierte die Filmcollage von Margit Czenki im Metropolis in Hamburg seine Premiere

Er wird nur kurz ins Bild gerückt. Ein kleiner Kasten mit der Aufschrift „Wunscharchiv“. Daneben eine nicht minder große Schachtel: „Wünsche mit Wasser“. Aber kein Archivar ist weit und breit zu sehen. Niemand, der katalogisiert, Aktendeckel stapelt, Listen führt. Das „Wunscharchiv“ in Margit Czenkis neuem Film „Park Fiction“ hat soviel mit dem gemein, was der durchschnittliche Akademiker als Archiv kennt, wie der Park, für den die Leute auf St. Pauli seit nunmehr fünf Jahren kämpfen, mit dem Hamburger Stadtpark. In einem ansonsten mit modernen Bürobauten und sozialem Wohnungsbau vollgestellten, armen, aber traditionsreichen Viertel bilden die knapp 20.000 Quadratmeter Fläche, die durch Glück, Zufall und Straßenkämpfe unbebaut geblieben sind, das Terrain, auf dem die Wünsche aus dem Archiv Realität werden sollen.

Eine Realität, die nach den Vorstellungen der Park-Initiative aus AnwohnerInnen, Künstlern, StadtplanerInnen, Kindern und SozialarbeiterInnen und anderen wenigstens etwas Platz für ein Leben jenseits vom sparsamen Sich- Einrichten bieten soll, ohne daß dafür jemand in die privaten Traumwelten im kleinen Zimmer flüchten muß. Was wäre, wenn es das tatsächlich gäbe: ein Badewannenbaumhaus, Briefschränke für Jugendliche, zu denen Eltern keinen Zugang haben, eine Turnhalle mit großem Spielfeld und Dachgarten, ein Open-Air-3D-Kino für die Kids und eine Wasserrutschbahn in die Elbe, die natürlich sauber sein soll; einen Piratinnen- Brunnen, einen Themenflipper zum „Abschießen von ökonomischer Ernsthaftigkeit“ und kommunizierende Röhren, die die Straßen mit der Wohnung verbinden.

„Der Park ist ein utopischer Ort, sein Vorbild ist das Paradies“, behauptet jemand in Margit Czenkis Film, bald darauf fällt der schöne Satz „Wohnraum ist das Unbewußte der Stadt“. Der Film eröffnet einen Zugang zur Stadt, ist dafür gedreht, daß das „Wenn“ und „Wäre“ nicht ebenso resigniert wie routiniert und stetig die Reden begleiten muß, sondern zum Impuls wird.

„Park Fiction“, der Film zum Park, ist dabei so ungebärdig, unsentimental und einfach da, wie es die Grünanlage im kaputtgeplanten St. Pauli erst noch werden muß, wenn dieses Frühjahr, wie von der Kulturbehörde versprochen, tatsächlich die ersten Arbeiten beginnen. Daß es keinen Kommentar gibt, daß sich die Filmemacherin, die selbst auf dem Kiez wohnt, auf die Statements, Überlegungen und die Erinnerungen ihrer Akteure und Akteurinnen verläßt, auf die Menschen von der Straße und aus der Gemeinwesenarbeit St.-Pauli- Süd, die Musiker und Künstlerinnen, ist noch geradezu konventionell. Daß sie auf Super 8 drehte und dann jedes einzelne Bild mit einer Trickkamera auf 16mm aufblies, mag, die Geldnot ist chronisch, noch dem Pragmatismus zugerechnet werden. Es ist nun aber auch der Interviewton konsequent asynchron, und die Kamera (Kamera Martin Gressmann) schweift bisweilen ganz entschieden ab, schwenkt wild über Gesichter, Teppichlandschaften und immer wieder durchs Grün. Das Grün der Palmen, das Grün von Sträuchern und Gestrüpp, das Grün, das sich gegen die vielen matten Farben in der Stadt oftmals nur schwer zu behaupten vermag, das hier in diesem Film aber eine Hauptrolle spielt. Obwohl „Park Fiction“ Seh- und Hörgewohnheiten zuwider läuft, haftet ihm aber, und das macht ihn tatsächlich bezaubernd, nichts Angestrengtes und um Avantgarde- Charakter Bemühtes an.

Das Dogma ist in „Park Fiction“ Sache des Antihelden: der Hamburger Musiker Schorsch Kamerun, der sich mit Schnäuzer, gelbgetönter Pilotenbrille und einem Vertreter-Alu-Koffer immer wieder von irgendwo ins Bild schiebt, altkluge Sprüche abläßt, über die notwendige Umverteilung des Reichtums und den weltberühmten Golden Pudel Club doziert und vor allem stets das letzte Wort hat.

Kamerun zeichnet mit Ted Gaier auch für die Musik- und Toncollagen verantwortlich: Während die Erzählerinnen und Erzähler im Film die Geschichte der Gärten im Islam streifen, sich mit englischen Parks und Französischer Revolution beschäftigen und auch aus der Antike schöpfen, sorgt der Soundtrack mit Hanns-Eisler-Samples und tschechischem Schlager für die nötige Unruhe und gibt den ZuschauerInnen Gelegenheit, abzuschweifen und eigene Assoziationen zu den Bildern zu entwickeln. Weil man angesichts des Zusammenspiels von Musik-, Bildsprache und dem mit Ideen, Fakten und Reflexionen vollgestopften Text sowieso nicht alles verstehen und nicht jedes Bild aufnehmen kann, schweift man wie ein Parkbesucher durch den Film – entspannt, belustigt und immer wieder überrascht. „Park Fiction“ ist einer der seltenen Filme, die denen gehören, die ihn sehen und hören. Oliver Tolmein

„Park Fiction“, Filmcollage: Margit Czenki, Texte: Christopher Schäfer, Musik- und Toncollage: Ted Gaier, Schorsch Kamerun, D 1999, 61 Min.