Film-Feld Östereich

Eindrücke von der Diagonale 99 in Graz. Die nationale Werkschau des österreichischen Films wird durch weitere siebzehn Städte in Österreich und Südtirol touren, Gastspiele ins benachbarte Ausland sind geplant  ■ Von Mathias Pilotek

„Models“, „Milk“ und „Siebtelbauern“... in jüngster Zeit haben österreichische Filme auf Festivals und/oder an der Kasse Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Doris Kuhn schrieb in der SZ anläßlich der „Siebtelbauern“: „Es gibt also noch Hoffnung für den deutschen Film, auch wenn es ein österreichischer ist.“

Die Eröffnungsgala der „Diagonale 99“ in Graz, des Festivals dieses östereichischen Films, bestritt nun Michael Glawoggers Fußball- Dokudrama „Frankreich, wir kommen!“; wie der Auftritt der Prohaska-Buben war der Film nach drei Akten beendet. Etwas scherzhaft antwortete der Regisseur auf die Frage nach der Wahl des Sujets: „Im Fußball hat Österreich die letzte Möglichkeit, seinen Nationalismus auszuleben.“ Epilog: Austria draußen, Berti gegen Kroatien, und im Off heißt es: „...ein Sieg, der die Welt gefreut hat“. Rückpaß, Doppelpaß, Abseits?

Spezifisch Österreichisches ist auf einer anderen Ebene angesiedelt. Dokumentar-, Experimental- und Spielfilm: seit Jahrzehnten existieren die Genres hier neben- und miteinander. Selbstverständlich nicht konfliktfrei. Aber viel entspannter als in Deutschland entsteht ein Patchwork, das sein Abbild im Zeitplan des Festivals findet: Die „Reihen“ sind nicht streng geordnet, sondern die Genres farblich unterlegt – so gibt die Veranstaltung als Ganzes ein buntes Bild. Mit einer Ausnahme: Die meisten der langen Spielfilme liefen im winzigen „Rechbauer“ (97 Plätze), was sich als fürsorgliche Entscheidung des Direktoriums (Christine Dollhofer und Constantin Wullf) erwies. Einer fortgeschrittenen Massenmelancholie wurde so wirksam vorgebeugt.

Den Auftakt des Fstivals markierten die Italiener Gianicchian und Ricci Lucci mit „Su tutte le vette è pace“ („Über allen Gipfeln ist Ruh'“). Eine wunderbare Komposition. Zu sehen sind (österreichische Wochenschau-)Bilder des Ersten Weltkrieges in den Alpen; Stellungskrieg im Hochgebirge, verletzte Infanteristen rutschen verschneite Abhänge haltlos hinunter, Packpferde werden gequält, immer weiter zu laufen. Sterben ist trivial im Krieg. „Vergangenheit neu lesen“ – eine Bemerkung, die die Regisseure ihrem Film mitgaben – und damit die technischen Verfahren als interpretative Arbeit kennzeichnen: Zeitlupen, Vergrößerungen, Kolorierungen, Text und Musik; alles dient der Personalisierung des Leides der Kreatur.

Gute Spielfilme entstanden im kurzen Format. Erwähnt sei nur „Inter-View“ von Jessica Hausner. Auch die langen Dokumentarfilme haben allgemein hohes Niveau. „Megacities“, wiederum ein Dokfilm von Michael Glawogger, kommt im Sommer in die deutschen Kinos. Zu sehen sind Menschen aus vier Städten, Mexiko, Bombay, NYC und Moskau. Die Porträts der Protagonisten werden nach einem bestimmten Schema inszeniert. Die Person nennt Namen, Familienstand, Lebensunterhalt und persönliche Träume. Es folgen Bilder aus der Lebenswelt: beim Tanzball, in der Fabrik etc. Das verbindende Element ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, Unterprivilegierte, Drogenabhängige, Arbeiter, und deren Kinder. Ist die Beziehung zwischen Regie und Protagonist geglückt, wird der Sequenz mehr Zeit eingeräumt, und das Porträt erreicht Tiefe, wie bei einer alleinerziehenden Mutter in Moskau oder einer Prostituierten in Mexiko. Erklärt wird in dem Film nichts. Nur wenn hart geschnitten wird, von den Tuchmachern in Bombay zu dem Tuchverkäufer auf den Straßen von New York, ist klar, daß hier ein globalisierter Intellektueller die Kamera führt, der seine Hausaufgaben gemacht hat. Bleibt die Beziehung an der Oberfläche, rettet sich Glawogger mit Großaufnahmen – traurige Kinderaugen schauen dich an. Hier gerät der Film in Gefahr, Bilder zu verwenden, die beliebig werden.

Zu den gefragtesten Veranstaltungen gehörten in Graz die Avantgarde- und Experimentalprogramme, bei denen Heroen wie Marc Adrian, Dietmar Brehm oder Peter Tscherkassky ihre jüngsten Werke zeigten. Lisl Ponger brachte „déjà vu“ mit: 8-mm-Found-Footage von Urlaubsfilmen westeuropäischer Touristen wird mit einer unabhängigen Tonspur montiert, auf der Geschichten in einer Vielzahl von Sprachen zu hören sind: Erinnerungen an die Sklaverei, von Coca-Cola in Afrika, dem Fremdsein, wenn man wieder in die „Heimat“ kommt. Nur selten gibt es (wie hier) das Gefühl, daß ein Film viel zu kurz ist. Und zugleich ist damit ein treffender Kontrast zu „Megacities“ eröffnet, da die Problematik des Exotismus eines der leitenden Themen dieses 23-Minuten-Werkes ist.