Der PC geht, der Stecker kommt

■ Sun-Chef Scott McNealy stellte auf Cebit "Jini" vor, den Chip, der endlich Java versteht

Auch auf der Cebit ist die Zeit der grauen, klobigen Kisten, die immensen Platz auf oder unter dem Schreibtisch rauben, abgelaufen. Der Allround-PC, so will es die Industrie, wird durch viele kleine Endgeräte abgelöst, denen Hochleistungschips für spezifische Funktionen eingepflanzt werden und die in der Lage sind, über schnelle Datennetze mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Stolz präsentierte Scott McNealy, Chef der Sun Microsystems aus Kalifornien, auch auf der Hannoveraner High- Tech-Messe sein Patentrezept, mit dem er den Weg in diese Zukunft ebnen will: das Netzwerkkonzept „Jini“. Es vereinfache die Vernetzung von Computern mit allen erdenklichen Endgeräten unglaublich, sagt McNealy. Der Name steht für „Java Intelligent Network Infrastructure“, soll aber auch an den zauberhaften Flaschengeist Dschinn aus der arabischen Märchenwelt in „Tausendundeiner Nacht“ erinnern.

Die Idee von Jini ist nicht neu, soll der digitale Flaschengeist doch endlich das leisten, was die Computerindustrie schon seit Jahren propagiert: „Plug and play“, zu deutsch „anschließen und loslegen.“ Jini soll mühsamen Installationen und Treiberanpassungen im Netzwerk ein Ende setzen. Dazu wird jeder Komponente, sei es einem Drucker oder einer Festplatte, ein eigener kleiner Chip eingepflanzt. Aus dummen Peripheriegeräten werden auf diese Weise intelligente Netzwerkmitglieder, die miteinander kommunizieren und Daten austauschen können. Stöpselt man ein Jini-Gerät an ein Netz an, kann es sich selbständig bei einem zentralen „Lookup-Service“ anmelden. Das ist eine Art Schwarzes Brett, an das alle Geräte ihre Funktionen und Ressourcen anschlagen müssen. So trägt ein Drucker zum Beispiel ein, ob er schwarzweiß oder farbig drucken kann, eine Festplatte, wie viele Megabytes Speicherplatz noch frei sind. Greift ein Benutzer über das Netzwerk auf den Drucker zu, werden im Hintergrund automatisch alle nötigen Treiber und Informationen auf seinen Client-Rechner übertragen – ohne daß der Computer zuvor umständlich angepaßt werden mußte.

Erste Prototypen waren auf dem Cebit-Stand von Sun zu sehen. Neben einer Webkamera und einer Festplatte sorgte vor allem eine Espressomaschine für Furore, die von jedem beliebigen Rechner in Netzwerken gesteuert werden kann. Aber die Visionen der Jini- Entwickler gehen weiter: Auch Steckdosen, Lichtschalter, Mobiltelefone, Heizungen, Waschmaschinen und Toaster sollen Teil eines Netzwerkes werden, das den menschlichen Lebensraum einhüllt und unendliche Möglichkeiten eröffnet, wie die Sun-Propheten schon seit der Erfindung der Programmiersprache „Java“ schwärmen. Wenn die Espressomaschine feststellt, daß der Kaffeevorrat zu Ende geht, könnte sie über das Internet beim Supermarkt um die Ecke ein paar Pakete nachbestellen. Ein Jini-Fön könnte sich sicherheitshalber automatisch ausschalten, sobald er in die Nähe einer Badewanne kommt. Am Ende verschmelzen die plappernden Jini-Chips in allen Geräten zu einer globalen Community, die sich gegenseitig Rechenleistung ausleiht und bei Bedarf zum größten Supercomputer der Welt zusammenwächst.

Bleibt nur die Frage, wer wirklich im Netzwerk Kaffee kochen möchte oder auf einen unterhaltungsfreudigen Fön Wert legt. Die Jini-Chips verstehen grundsätzlich nur die Codes von Java, die Sun bereits vor vier Jahren erstmals vorgestellt hat. Der Kaffee sollte damals möglichst heiß getrunken werden, bislang aber hat er vor allem die Rechenleistung sogar starker PCs in die Knie gezwungen, sobald ein Programm ernsthaft etwas leisten sollte. Java will Schluß machen mit der babylonischen Sprachverwirrung, die zwischen verschiedenen Betriebssystemen herrscht, aber der Preis ist hoch. Denn Java-Anwendungen laufen in einer sogenannten virtuellen Maschine ab, einer logischen Umgebung, die den Programmcode während seiner Ausführung in die für den jeweiligen Gastcomputer allein verständliche Sprache übersetzt. Was theoretisch nach Revolution kling, führt in der Praxis zu schwerfälligen und keineswegs besonders stabilen Programmen.

Doch ebendiese Technologie soll jetzt auch Jini zugute kommen. Jedes Gerät, für das es eine Java- Maschine gibt, kann vernetzt werden. McNealy ist überzeugt davon, daß damit die Dominanz der Windows-Familie in Frage steht. Java und Jini gelten für Sun als Waffen im Kampf gegen die Vorherrschaft von Microsoft.

Doch auch dort scheint der gute alte PC seine letzten Tage zu zählen. Microsoft versucht mit seiner Windows Compact Edition (CE) seine Stellung zu halten. Windows CE soll die geballte Funktionsvielfalt eines PCs auf kommende Kleingeräte übertragen und sie auf diese Weise intelligent machen. Doch Jini und Windows CE trennen Welten. Während Microsoft komplexe Systeme ins Kleinformat zu übertragen versucht, setzt Sun auf Einfachheit – ganze 48 Kilobyte Java-Code reichen für die gesamten Funktionen von Jini.

Öffentlich ließ sich Microsoft davon bisher nicht beeindrucken. Sprecher der deutschen Unternehmenszentrale bei München bezeichneten den Rummel um den Flaschengeist als „vielleicht etwas übertrieben“. Wirklich neues können sie in der Kommunikation von Waschmaschinen mit Toastern nicht erkennen, ganz anders als der größte Kooperationspartner von Sun: IBM stellte auf der Cebit sein Modell des „Pervasive Computing“, der alle Lebensbereiche durchdringenden Digitaltechnik, vor. Schlüsselelemente für Computerintelligenz in Alltagsgeräten, verkündete IBM-Manager Mark Bregmann, „sind für uns Java und Jini“. Microsoft Windows CE sei für solche Aufgaben dagegen völlig ungeeignet.

Eine Kampfansage an Bill Gates, die bereits Tradition hat. Diesmal allerdings gilt unter Fachleuten als ausgemacht, daß der Markt für vernetzbare elektronische Komponenten die größten Wachstumsraten haben wird. In den nächsten drei Jahren, schätzt IBM, wird die Zahl der Kleingeräte am Netz von 3,2 Millionen auf 37,2 Millionen steigen. Neben IBM entwickeln mittlerweile rund 40 andere Firmen Jini-fähige Produkte. Darunter der Druckerhersteller Hewlett Packard, die Festplattenfabrikanten Seagate und Quantum oder der Handy-Spezialist Ericsson. Sie alle hoffen, mit ihrer Hardware ein Stück des neuen Marktes zu erobern. Erst wenn diese Produkte serienreif sind, wird sich entscheiden, ob die Zukunft der Informationstechnik IBM und Sun gehört statt Microsoft und Intel, und ob ausgerechnet Jini aus dem monströsen Allzweckcomputer von heute die Geräte der Zukunft macht, die endlich auch Laien verstehen. Jens Uehlecke

jens_uehlecke@hotmail.com