Apokalypse blau

Ritter, Tod und Teufel: Junge Bands aus dem Osten beschwören Mummenschanz und Manier. Lebe wild und romantisch! Denn morgen kann die Pest dich holen  ■ Von
Anke Westphal

Eric Fish, der eigentlich Eric Hecht heißt, ist groß und eher breit. Eric trägt einen Siegelring, ist Sänger bei Subway To Sally und findet nicht, daß Rammstein allein „schuld“ seien am Erfolg von Subway. Subway To Sally touren nämlich schon seit sieben Jahren. „Ganz geradlinig, weißt du.“

Der Erfolg kommt für Fish daher, daß die Band endlich ihr Gesicht gefunden habe. Die „Atmo“ auf den Konzerten sei ganz toll. Man hört alte Instrumente, mittelalterliche Tonsätze, feinsten Satzgesang, Romantik volles Rohr – und dann kommt der böse Metal und hämmert die Romantik zurück auf den Amboß der Realität. Er hat eben nicht sollen sein, der schöne Traum.

„Traue nicht einmal deinen eigenen Träumen“, raunt auch Oswald Henke von Goethes Erben. Alle Hoffnung ist nur Mangel an Information. Dennoch macht es ebensoviel Spaß, Hoffnung zu hegen wie Hoffnung zu zerkloppen.

Im romantischen Moment gebadet

Daß der Erfolg in den letzten Jahren größer geworden ist, würden allerdings weder Fish noch Henke bestreiten. Das Ende des Jahrtausends naht, und Apokalypsen haben wieder Konjunktur. Gothic und Dark Wave, lange Jahre wenig belichtete Winkel des Popuniversums, baden mittelalterliche Memento-mori-und-Auferstehungs- Phantasien im romantischen Moment. Die Bands mit den bösen Gitarren wie Subway To Sally oder Tanzwut – beide touren derzeit durch deutsche Lande – fordern aber auch das rebellische Moment. Auch wenn sie das selber wundert. „Mann“, glotzt Eric die Frau an, „du machst uns ja laufend Komplimente.“

Sie berlinern schwer, aber dumm sind sie nicht, diese wilden Männer. Das und auch das Rebellische haben Subway To Sally und Tanzwut gemeinsam. Bei Tanzwut ging alles gaaanz schnell. Innerhalb eines halben Jahres war das Projekt aus dem Boden gestampft. Man kannte sich, wie Subway auch, schon lange aus mit alten Instrumenten und alter Musik, wollte aber „richtig was Verschärftes machen“. Sagt der Sänger.

Tanzwut ist das Seitenprojekt der professionellen Mittelaltergruppe Corvus Corax (“Kolkrabe“), die es seit neun Jahren gibt. Bei Tanzwut soll es sehr hart, wild und, ha, tanzbar sein. Man habe zu Hause nur mal in den Drumcomputer gucken müssen, „so mit Techno“, dann wurde „alles plötzlich furchtbar laut“. Also schnell ein Demoband produziert und eine „Mugge“ (= musikalisches Gelegenheitsgeschäft) gemacht, da stand auch schon die Plattenfirma mit dem Vertrag in der Tür.

Daß so etwas nicht aus dem Nichts kommt, ist auch Eric Fish klar. „Zur Akzeptanz dieser Musik hat Rammstein schon beigetragen“, lenkt er ein. Viele Satelliten kreisen um den Stern – wer will entscheiden, was zuerst da war? Eric hat als Liedermacher angefangen und kam über Folkmusik zu dem, was da jetzt von draußen reinkracht, bei Tanzwut macht es mehr die Requisite. Der Sänger „Teufel“ trägt das knappe Haar, nomen est omen, in zwei Teufelshörnchen, und weil das ein wenig niedlich anmutet, wirft er gräßliche Blicke dazu.

Die Gräßlichen machen nicht nur, sie haben auch Spaß. Im 14. Jahrhundert, zu Hochzeiten der Pest, gab es Spielleute, die den Menschen einredeten, „daß alles keinen Zweck mehr habe und sie lieber eine richtige Party schmeißen sollten“. Die Leute um Sänger Teufel dachten, daß dieses irgendwie zur Jahrtausendwende passe. So heißt die allererste Tanzwut-CD also „Auferstehung“ und die fünfte von Subway To Sally „Hochzeit“. Ein Täßchen Hoffnung kann doch nicht schaden.

Nur Härte zählt – Härrrrrte zählt!

Der Türöffnereffekt einer Band wie Rammstein hat viel mit dem Osten zu tun. Und viel mit Metal. Der Metal macht noch ungemütlicher, was – think Pest, Inquisition, Hexenverbrennung – an sich schon ungemütlich war. Das kommt an. Subway To Sally und Tanzwut etwa haben etwas begriffen: Sie produzieren enorm moderne Musik. Romantik und unzweifelhaft hörbares Pathos werden durch Metal gleichzeitig verstärkt und zurückgenommen.

Auch auf der verbalen Symbolebene funktioniert die Osmose. Das Symbol des Räderwerks bei Tanzwut ist dazu angetan, einem ein bißchen Angst einzujagen: humanoides Rädern wie im Gemälde „An die Arbeit“ von Oskar Nerlinger. „Alle Räder stehen still / wenn dein starker Arm es will!“ Das Bergwerk des Seins – ja, Amboß oder Hammer sein. „Ich fliehe aus der kranken Welt / in der es keine Schwäche gibt / nur Härte zählt – Härrrrte zählt“, beschließt der „Eisenmann“ bei Tanzwut. Angstgespenster senden sie, die oberhemdfreien Springteufelchen von Tanzwut, Rammstein, Subway To Sally, In Extremo und wie sie alle heißen. Das Metallene daran ist auch das Metallene darin.

Ostspezifisch daran ist die historische Front. Black Sabbath, Uriah Heep und Deep Purple waren in der DDR der Siebziger sehr angesagte Bands (Gott, was habe ich meine Eltern gequält), weil sie das Aggressiv-Dumpfe an einem muffigen Binnenklima wie dem der sozialistischen Republik zwar zufällig, aber gut trafen. Heute scheint bei Subway To Sally Led Zeppelins „Kashmir“ durch, und Tanzwut covern den „Iron Man“ von Black Sabbath als „Eisenmann“. Das tun sie auf alten Instrumenten: Dudelsäcke, Drehleiern etc.

Die Verbindung ist auch ein Symbol, natürlich. Der „Eisenmann“, der jenseits der Mauer und als Plastemann aufwuchs, mußte sich eine Schutzmaske zulegen – die Ironie. Anders konnte nichts wachsen. Die Blumen des Bösen sind Blümchen, was die Eisenmänner wissen und die anderen nicht glauben wollen. Subway To Sally etwa weigern sich, ihre Songs auf einen Sinn hin zu untersuchen. „Jeder Song hat eine andere Botschaft“, lacht Eric. Wer nicht weiß, was er im großen und ganzen will, will manchmal das Nichtwissen.

Eine feine Konversion, dieser Trotz gegenüber Presse und TV, die die Zuordnungen – hopp hopp – zur Hand haben: Satanismus, Eskapismus, Faschismus... derzeit arbeitet man an der politisch korrekten Auslegung des Songs „Sabbat“ von Subway To Sally. Von Journalisten ohne Ohren und Umschweife des Antisemitismus bezichtigt, beschreibt das Lied tatsächlich einen Hexensabbat, eine Walpurgisnacht, einen sexuellen Rausch. Es ist schon kurios, wie Hexen und Hexenjäger immer wieder zueinanderfinden.

Das Pathos des Ostens artikuliert eine Sehnsucht ohne Ziel. „Verbannt aus meinem Königreich / wird auch das Wesen geisterhaft“, singen Tanzwut. Warum gefällt dieses unscharfe Sehen ins Weite so vielen Leuten? Womöglich, weil es das Kontra zu einem gelangweilten Westen ist. Über die Metal-Mittelalter-Symbiose des Ostens wird ein ritueller gesellschaftlicher Zustand abgelehnt und mit einem anderen gekontert; die Androhung von Vergeltung gibt es sogar verbal: „Ich kann denen nie vergeben / die mein Lied dem Tode weihn.../ Angstgespenster werd' ich senden.“

Gewaltbereitschaft – phonetisch, poetisch

Die Musik von Tanzwut ist sogar explizit antikapitalistisch. „Alle Kraft dem Geld geweiht /kein Gedanke bricht das Siegel /nichts, was Räder vorwärts treibt“, röhren die fünf Freunde – und werden wohl bald des Teutonismus angeklagt werden. Ist Antikapitalismus faschistoid? Ist Faschismus etwas Antikapitalistisches? Wenn Antikapitalismus immer romantisch ist, ist dann Romantik faschistoid? „Komm nur, komm / umarm die Wölfin“, locken Subway To Sally. Nein, bei Subway sollen „Giftschlange und Wolf keine Zähne mehr“ besitzen, aber wer mit dem Teufel ißt, muß bekanntlich einen langen Löffel haben.

Aller Antikapitalismus war und ist pathetisch – was wohl an seiner praktischen Unmöglichkeit liegt. Das nicht ganz Aufrichtige und Machbare hat immer zuviel Verve. Tanzwut singen denn auch: „Du bist zu schwach für diese Welt / nur der Tod kann dich befrein / wehr dich nicht / wenn du fällst / dein Grabmal wird dein Tempel sein.“

Es gab schon einmal eine Generation, die im Tod die kreatürliche Erlösung vom Druck der Zeit und von der Banalität des Nicht-Benötigt-Werdens metaphorisierte: die jungen Expressionisten. Eine Tradition, an die eastern-sozialisierte Mittelalter-Bands wie Subway To Sally oder Tanzwut in der phonetischen Gewaltbereitschaft anknüpfen – und in der poetischen. Die Selbstmörderin Ophelia schwimmt mit Ratten im Haar oder Bauch ganz wie bei Georg Heym und Gottfried Benn.

Das war und ist auch bei westdeutschen Gothic-Projekten wie DAS ICH so, bis in die Wortwörtlichkeit. Die Vertonung von Gottfried Benns Gedichtzyklus „Morgue“ durch DAS ICH stellt nicht nur eine konsequente Zuspitzung der Symbolverkunstung dar, sondern ist auch so erschreckend gelungen, daß man, hat man die CD endlich durchgestanden, auf ewig schlafen möchte. Die Elektropopper Wolfsheim, unlängst durch die Kooperation mit Joachim Witt im apokalyptischen „Die Flut“ in rechten Ruch gekommen, tanzen jetzt wieder zart die Milchstraße entlang. Deutsche Musik und Literatur kennt überhaupt eine lange Ahnenreihe an romantischem Idealismus. Die Frühromantik beispielsweise, so behauptet die Literaturgeschichte, war in ihrem Antikapitalismus revolutionär, die Spätromantik in ihrer Innerlichkeit hingegen das Gegenteil.

Cowboys im eigenen Eastern

Am deutlichsten zeigt die Sehnsucht nach dem Vergangenen ihr zweites Gesicht aber doch im Ostberliner Stadteil Prenzlauer Berg, wo es auf knapp 200 Metern Luftlinie allein zwei Kneipen gibt, die „Zeitsprung“ heißen. Es ist eine Welt aus Nachahmung und Manier, die hier gehegt wird. Vom Gothic nehmen die Bands den Mummenschanz und vom Dark Wave den schönen Schein der Sehnsucht. Das Mittelalter schenkt ihnen die Brachialität und der Metal die Romantik, obwohl man immer glaubt, gerade beim Letzteren verhalte es sich andersherum. So spielen sie denn die ehrenwerten Cowboys in ihrem eigenen Eastern. Und nennen sich tatsächlich „Spielmänner“.

Fast jede der erwähnten Bands hat ihren „Geschichtsexperten“. Die Männer von Subway, Tanzwut, In Extremo und wie sie alle heißen, nehmen die Inszenierung auf der historisch-requisitorischen Ebene richtig ernst – und auch das Majestätische daran. Da werden alte Text- und Notenarchive durchstöbert, und jemand wie Ingo Hampf von Subway To Sally studiert Kontrapunktik und gregorianischen Choral an der Musikhochschule. Madrigale, Motetten, Hildegard von Bingen, Augsburger Tabulatur, und all das, um so schreiben zu können wie früher. Tanzwut haben sogar einen Instrumentenbauer in der Combo und sind dessen „tierisch froh“.

Die Bands bedienen sich am Fundus nationaler Requisiten, pochen dabei auf „Eigenständigkeit“, doch es gibt keine klare Botschaft. In ihrer Widersprüchlichkeit schließen die wilden Männer aus dem Osten eher an Selbstbehauptungsmechanismen deutscher Türken der zweiten Generation an. Der Underdog, der Verlierer der Geschichte und Erfolgsgesellschaft oder wer sich dafür hält, erfindet sich neu: gepierct, tätowiert, stark, röhrend, muskulös. Die Orient-Connection wird auch musikalisch explizit. Subway To Sally kooperieren mit befreundeten arabischen Musikern. Anders als im ätherischen Kosmos des alten Gothic, anders auch als bei den Westvarianten, soll der Geist aber auch Körper haben. Tanzwut kommen in Lederschurz, mit erwähnten Teufelshörnern und einer Schandgeige, einem tragbaren Pranger, auf die Bühne, und es gibt nicht wenige Frauen, die „gut finden, daß wir wenig anhaben und vielleicht gut aussehen“. Mit Weltflucht und Satanismus hat das nichts zu tun – eher mit gemeiner Brachialität. „Das Show-Element, das Visuelle“, bemängeln Tanzwut, werde von vielen Bands viel zu oft vernachlässigt. „Den Leuten soll der Mund offen stehen, wenn wir auf die Bühne kommen.“ Mit dem Budenzauber ist man zufrieden. So paaren sich Ambition und Naivität. Das daraus resultierende Produkt einigt Grufties, Metal- Fans, Esoteriker, Biker, Junge und Alte. Subway To Sally wollen bewußt niemanden ausschließen von ihrer Musik. Der gen Westen gerichtete Seitenaspekt zählt aber auch: „Mit der Musik den Leuten eins in die Fresse geben“, denn: „Fleisch erhebt sich / das ihr verletzt“. Der Eisenmann wird zum „Richter der neuen Zeit“. Dies also ist der unerbetene Soundtrack zur deutsch-deutschen Debatte – gut, daß es ihn gibt.