In deutschen Kantinen: „Wenn der Russe eingreift, eskaliert die Sache“

Meiningen/Thüringen. „Schade ums Geld“, sagt einer der sieben Blaumänner am Tisch. „Jetzt machen sie alles kaputt, und nachher müssen sie's wieder aufbauen.“ Die Arbeiter aus der Kesselschmiede sitzen mit Kollegen im Speisesaal des Dampflokwerkes im thüringischen Meiningen. Peter Pfeifers Blick löst sich vom Teller: „Es gibt sicher bessere politische Lösungen, als Krieg zu spielen.“ Elend existiere schließlich genug auf der Welt.

„Das Gejammer geht dann los, wenn der erste Deutsche abgeschossen wird“, bemerkt ein Kollege. Und wenn „der Russe oder der Chinese eingreift“, könne die Sache ganz schnell eskalieren, meint Thomas Jung. Pfeifer ergänzt: „Dann hat die hochbezahlte Politik versagt.“ Mit welchem Recht hänge sich ein Land in die Angelegenheit eines fremden! Ihn würde das jedenfalls stören. „Ginge es denen nicht so gut, würde das nicht passieren“, meldet sich ein anderer Blaumann. „Wenn alles zerschossen ist, stehen sie wieder da und betteln um Geld für den Aufbau.“ Ein anderer lacht schallend los: „Dann kriegen wir vielleicht Großaufträge, wenn sie Dampfloks brauchen.“Sascha Wilms

Berlin. Früher mal hatte der Internist Achim Jörre Ferien gemacht in Jugoslawien. Und jetzt dieser Krieg. „Das Erschütternde ist doch, daß das nur eine Flugstunde von hier entfernt passiert und in einem Urlaubsland, in das wir alle hingefahren sind“, sagt Jörre. Er sitzt mit Kollegen in der Kantine des Rudolf- Virchow-Klinikums. „Dieser Tag steht unter keinem guten Stern“, meint Karin Berndt, medizinisch-technische Assistentin im Klinikum. Anästhesistin Claudia Höhne teilt das ungute Gefühl ihrer Kollegin: „Ich finde das total beängstigend, was da passiert“, erklärt sie bei Reis mit Gemüseplätzchen.

Am Tisch nebenan wird vor allem über Mädchen gesprochen. Zivi Florian Eißmann, 19 Jahre alt, ist seit zwei Wochen glücklich verliebt und trägt einen Knutschfleck am Hals. Doch nichtsdestotrotz hat er heute morgen extra n-tv eingeschaltet, um die Nachrichten zu sehen. Sein Zivi-Kollege Mathias Haebpe wiegelt ab: „Die Zeitungen übertreiben doch immer. Daß es Krieg geben würde, stand doch schon die ganze letzte Woche auf den Titelseiten.“ „Jetzt werden wir jeden Tag Nachrichten gucken und gleichzeitig unsere Filter einschalten, damit daß alles trotzdem nicht so nah kommt an einen“, sagt Student Christoph Hering.Yvonne Wieden

Bremen. An den sauber gedeckten Kantinentischen in der Parlamentslobby im Bremer Landtag sitzen die Grünen-Abgeordneten und trinken Kaffee oder essen Schnitzel. „Man muß darauf beharren, daß die UNO stark bleibt“, meint Karoline Linnert, „wenn man an der Utopie einer gerechteren Welt festhält.“ Kollege Helmut Zachau widerspricht: „Komm, der Erosionsprozeß der UNO zugunsten der Nato ist unübersehbar.“ Viele Grüne seien durch Bosnien bekehrt worden, versucht Zachau weiter zu begründen. Linnert: „Wenn das nicht alle Grünen mitmachen wollen, ist das eine ehrenhafte Position.“ „Und dann? Dann bist du wieder in der Diskussion, wie man sich in Zukunft zu solchen Konflikten verhält.“ Zachau zuckt die Schultern: „Die Diskussionen enden in Hilflosigkeit – wie jetzt.“Christoph Dowe

Köln. Wie gewohnt schlemmen Geisteswissenschaftler in der Zentralmensa der Kölner Uni ihr vegetarisches Menü, während die Juristen eher Putenrollbraten bevorzugen. Magendrücken angesichts des Kosovo- Krieges haben die wenigsten. „Natürlich ist das herbe, daß deutsche Soldaten in einen Krieg ziehen, aber ich find's okay“, meint die 23jährige Sonderpädagogin Kirsten. „Die Nato mußte eingreifen“, bilanziert Sitznachbar Henrik, „was Milošević da unten anstellt, ist schließlich Völkermord!“ Daß Deutschland damit erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder bei einem Militäreinsatz mitmischt, halten weder Kirsten noch Henrik für historisch bedeutsam. „Die Deutschen können sich nicht ständig mit Hinweis auf ihre Geschichte aus der Affäre ziehen“, schnaubt der 26jährige Physikstudent Lorenz, „wenn man in der Nato ist, dann muß man auch mitmachen, sonst muß man austreten. Und die Frage, ob deutsche Soldaten wieder aufmarschieren sollen, ist doch eigentlich schon vor 40 Jahren beantwortet worden: mit der Wiederbewaffnung.“Gisa Funke