Herzensangelegenheiten auf Mallorca

Die Mallorca-Deutschen haben nicht nur Sonne, Sand und Sangria, sondern auch Sorgen: schwindende Manneskraft, Alkohol, Langeweile. Aus dem Aussteigerparadies berichten  ■ Annette Rogalla (Text) und Dietmar Gust (Fotos)

Wir wollen nicht stören. Auf einem Kanapee aus Naturstein dämmert das mallorquinische Dorf vor sich hin. Was auch geschieht in Santanyi, alles fügt sich in den wachen Schlaf: Ob eine neue Galerie hinter den grobgehauenen Steinwänden aufmacht, ob eine sechs Meter große Palme am Seil eines Lastkrans in den Garten der Architektenfrau aus Hamburg schwebt, ob Münchener Brauereibesitzer ihren Plan für einen Golfplatz im Bürgermeisteramt vorlegen – nichts passiert laut oder brutal. Wäre es so, würde Santanyi erschrecken. Wir kämen nie wieder.

Die Hitze des Sommers ist fort. Unser Haus in der Calle de la Luna hat auf uns gewartet. Seine Wände aus Lehm sind feucht geworden. Wir stecken vertrocknete Olivenzweige in den gußeisernen Ofen. Über der Dachterrasse formieren sich glitzernde Stare zum Tiefflug in die Zitronenbäume.

„Endlich daheim“ – seit zehn Jahren treibt uns dieses Gefühl immer wieder dorthin. Es verbindet Ausflüge ans Meer, dottergelbe Butterblümchen, die zwischen den Schafen wachsen, die Angst, den Weg am Berg nicht zu finden.

Auf Mallorca verlangsamt sich die Zeit. Es gibt nichts zu tun, außer nach sich selbst zu greifen und süße Apfelsinen zu pressen. Wir legen ein weißes Tuch über die aufgesprungene Tischplatte, zünden Kerzen an und trinken Cava. Aus dem kuperfarbenen Stanniolpapier wickeln wir Ringe. Verlobt!

„Doch auf Mallorca platzen Träume wie Seifenblasen“ („Bild am Sonntag“)

Riskante Einblicke in die Herzensangelegenheiten der Edeltouristen bietet die Arztpraxis von Dieter Uckermann. Er thront schräg gegenüber der Kathedrale von Palma. Im Vorzimmer döst die Helferin den Patienten entgegen. Sie sagt nichts. Am Tischbein ist ein kleiner Hund angeleint. Er streckt sich im Schlaf.

Hinter der japanischen Schiebewand aus Mahagoniholz redet ein Patient, laut und deutlich. „Herr Doktor, ich hab' Angst vor meiner Frau. Geschäftlich geht es gerade nicht so gut. Kürzlich fragte sie: Warum sagt du alle Termine ab? Ich hatte eine Grippe! Meine Frau ist so hart, so diszipliniert, so evangelisch. Sie kommt aus dem Norden. Ich hab' ihr hier ein Haus gebaut. Der hiesige Architekt war so doof, da hab' ich lieber alles selber gemacht. Wenn ich in Deutschland bin, hab' ich immer Magenschmerzen. Der Arzt hat mir was verschrieben. Zwei Pillen täglich. Aber was ist ein bißchen Chemie gegen meine Ängste? In meiner Ehe läuft nicht mehr viel. Meine Frau ist so groß. Sie ist nur zwei Zentimeter kleiner als ich. Und Sie wissen ja, bei älteren Frauen wird die Vagina im Laufe der Jahre immer größer. Wenn ich da mein Ding reinstecke, hängt das so schlaff drin rum. Ihre Muskeln halten das nicht mehr fest. Deswegen können wir auch keine normale Missionarstellung mehr machen. Unsere Ehe ist eine Vernunftehe mit vier Kindern. Vor vier Jahren war ich noch Oberstudienrat. Bin ausgestiegen und arbeite jetzt als Bauunternehmer. Ich lebe in Deutschland und hier.“

Doktor Uckermann murmelt etwas von abfallendem Testosteronspiegel beim alternden Mann und von einer Psychotherapie.

Die Schiebewand öffnet sich. Heraus kommt ein kräftigblau kariertes Leinenhemd, aus dem munter ein braun gebrannter Stoppelhaarkopf guckt. Sieht nach Geld und gar nicht so übel aus.

Zwischen einer aus Holz geschnitzten Buddhafigur und einem Metallregal behandelt Dieter Uckermann die Panik der Deutschen. Sein Blick wandert hinab aufs Meer. „Mallorca ist ein guter Platz zum Leben“, sagt er. „Viel Licht, viel Sonne, viel Körper.“ Allerdings, „das geistige Leben“ sei schwieriger als in Deutschland.

Auf Mallorca sind sie alle dem Himmel nah. Doch kaum ein Resident versteht so viel Spanisch, daß er die Tageszeitung El Pais lesen könnte. Auch Uckermann radebrecht sich durch seinen südländischen Alltag. „Warum sollten wir Deutschen auch Spanisch lernen?“ fragt er. „Die Einheimischen leben ihr Leben in ihrem Mallorquiner Dialekt. Der ist so schwierig, den kann kein Ausländer lernen.“

Die deutsche Aussteigerklasse igelt sich lieber ein, bei Chablis und Hummer. Beim feinen Nichtstun machen sich Hamburger Schick und Düsseldorfer Millionenproll einmütig Sorgen um die Zukunft ihres Geldes. Allein über ein Phänomen herrscht vornehmes Schweigen: Das Einerlei der sonnigen Tage wird nur durch die Wahl der Alkoholika variiert. Morgens Kaffee mit Kognak, mittags Rotwein, zwischendurch Sekt. „Jeder fünfte Deutsche, der auf Mallorca wohnt, ist im klinischen Sinne alkoholabhängig“, schätzt Uckermann.

Gegen die intellektuelle Öde hat sich der Arzt ein striktes Sportprogramm verordnet: Dauerlauf an der Playa de Palma, Tennis, Hundausführen. „Meine Fitneß ist gut. Körperlich sind mir nur zwei Prozent meiner Altersgruppe überlegen.“ Zwischen den Trainingseinheiten kuriert Uckermann Schnittwunden, Halsweh und Herzschmerzen. Tauschen möchte er nicht mit einem Kollegen in Deutschland. „In meinem Alter haben die ein Haus, eine Yacht und Aktien, aber auch chronische Magenprobleme.“

Vor zehn Jahren reiste der Chirurg Uckermann von München nach Palma, um der Ehe, der Uniklinik und der wohlhabenden Gesellschaft unter dem Regiment seiner Schwiegermutter zu entfliehen. Damals wartete man sechs und mehr Monate, um sich von seinen feingliedrigen Händen aufschneiden zu lassen. Heute bietet er seine privat zu liquidierenden Dienste im Malloca-Magazin an.

„Mallorca ist gut für den Körper und schlecht für den Kopf.“ Weil in einem austrainierten Körper nicht immer ein zufriedener Geist steckt, entdeckte Uckermann eine Marktlücke. Seit einigen Monaten fliegt freitags ein befreundeter Psychologe aus Oldenburg ein. Übers Wochenende therapiert er auch Herren mit schwindender Manneskraft. Dieter Uckermann hat sich einen Namen auf der Insel gemacht – als Schönheitschirurg.

„Das Geld muß weg“ (Leitspruch der Mallorca-Deutschen)

Die großen Namen aus der Heimat sind nicht weit. Sabine Christiansen hat was in Cala Llamp, Bernhard Paul vom Zirkus Roncalli soll schon seit Jahren an einem Urlaubstempel werkeln, und die Schutzpatronin der Neureichen, Claudia Schiffer, plant bereits das zweite Haus in Camp de Mar: Garage für drei Autos, sechs Kamine, jedes Schlafzimmer mit separater Dusche – keine Wannenbäder! –, 50 Quadratmeter großer Fitneßraum. Ihr Projektleiter klagt, zwar gefalle der Familie Schiffer das erste Haus auch ganz gut, „aber dort gibt es zuwenig Intimsphäre, zu viel Rummel“. Die neue Bleibe, mallorquinischer Herrenhausstil, soll im Wald stehen, versteckt vor den Augen der Fans.

Allen anderen, die ein paar Millionen weniger ausgeben wollen, bieten Dutzende Makler Hilfe an. Auf Mallorca findet deutsches Geld Raum, sich hemmungslos zu entfalten. „Es ist schrecklich. Die Leute kommen nach dem Motto „Eine Million Lemminge können sich nicht irren“. Und hier macht's immerzu plumps.“ Marie Luise Breithaupt lacht wie Harald Schmidt. Die Maklerin gehört zu den ersten, die den Mallorca- Boom herbeizauberten.

Da sitzt sie nun in ihrem lichten Apartment in Genova und stapelt die Visitenkarten der Kaufwilligen wie Dollarscheine auf den Tisch. Gesucht werden Fincas, Lofts in Palmas Altstadt oder gleich ganze Paläste. „Die Preise liegen zwischen 200.000 und 10 Millionen Mark, je nach Lage, Größe und Wert des Gebäudes.“

Jeder Viehstall wird zur Finca schöngeredet. Und auch Schwarzgeld ist auf der Insel immer willkommen. Die Kaufwut der Deutschen ist nicht nur mit der Einführung des Euro zu erklären. Marie Luise Breithaupt vergleicht den Boom mit dem Stock-Market. „Die Leute legen nicht alle Aktiengewinne wieder in Aktien an. Auch mit Häusern läßt sich gut spekulieren.“

Ist das verfallene Altstadt- Artico erst einmal renoviert, wird es gleich doppelt bis dreifach soviel wert. Am Monopolyspiel finden nicht nur die wohlhabenden Kreise Gefallen, zunehmend mischen auch einfache Bausparer mit.

Selbst einfachen Pauschalurlaubern bringt der Besuch beim Makler Spaß. Wem es am Pool langweilig wird, der schlägt in den Immobilienanzeigen nach.

Der Makler kommt zum Hotel, chauffiert die vermeitliche Kundschaft durch die Gegend und erzählt Geschichten über Landschaft und Anwesen. „Wenn sie alles gesehen haben, lassen sie sich an einer Badebucht absetzen“, sagt Breithaupt. Weil sie sich nicht ständig zum Idioten machen lassen will, vereinbart sie mit den Hausinteressenten vorab einen Termin im Büro. Wer eine Badetasche dabeihat, wird mit Fotos abgespeist.

„Eins kann uns keiner, eins kann uns keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben“ (Geier Sturzflug)

Echte Kegelbrüder und Sangesschwestern bevorzugen Sand, Sonne und Sangria. Am Balneario No.6 sind die 5-Liter-Sangria- Eimer längst passé. Sie waren praktisch. Erst aussaufen, dann reinreihern. Jetzt wird das Kaltgetränk am Ballermann in Glaskaraffen serviert. Die Stimmungslieder sind geblieben: „Und wir haben ein Idol, Harald Juuuhnke.“ Wir sind ein Volk. Die einen scheuchen am Hamburger Hügel die Innenausstatter durchs Haus, die anderen grapschen Kellnerinnen im „Oberbayern“ an den Po.

Drei Erfrischungsbuden weiter, hinterm Balneario No.9, tröstet Nicolas Bosshard betrübte Seelen. In der geduckten Hauskapelle spricht er die Fürbitten des Tages: „Herr, für die Menschen, die hier ihren Urlaub verbringen, mögen es Tage sein, die nachwirken – für Wochen und Monate.“ Vier betagte Zuhörer echoen zurück: „Wir bitten Dich, erhöre uns!“ Nach dem Gebet schweigen alle miteinander. „Die Sonne möge Ihnen die Glieder wärmen.“ Der Pfarrer weiß, welche Wirkung das milde Klima ausübt.

Leipziger und Bottroper Prolls finden selten ins Centro católico. Das stört Bosshard keineswegs. Er sieht sie beim abendlichen Strandspaziergang am Wasser. Was er von ihnen hält? „Ich neige nicht dazu, nach unten zu blicken, zu dem Treiben der Mistkäfer, sondern nach oben.“ Auch der, der sich vollaufen läßt, kann ein guter Mensch sein, „wenn es die Umstände zulassen.“

Der Theologe aus dem Breisgau will mit Andachten und Messen dafür sorgen, daß die „Umstände hier günstig sind und die Menschen sich zum Besseren hinwenden können“. Falls doch mal einer vom Ballermann klingelt, steht er in abgerissenen Klamotten vor der Tür, ohne Geld und Ticket, gerade in der Lage zu lallen: Bring mich nach Hause! Gemeinsam mit den Airlines schafft der Pfarrer ihn zurück nach Paderborn oder Berlin.

Sonnen, grölen, saufen, das könne der Insel nicht wirklich schaden, sagt Bosshard. Die Touristeninvasion bringe viel Gewinn. Blieben die Urlauber aus, müßten sich die Mallorquiner in anderen Ländern Arbeit suchen. „Was Mallorca geschadet hat, waren die Vandalen.“

Weil er strenge Vergleiche liebt, sagt der Pfarrer auch dies: „Mallorca hat starke weibliche Züge. Es verkauft gerne etwas und ist bereit, etwas zu geben, sich hinzugeben und etwas dafür zu verlangen.“ Mallorca ist eine gefräßige Hure. Sagen die Mallorquiner.

„Früher oder später kommt jeder mal an zwei Orte: Mallorca und das Jenseits. Welcher ist der bessere Ort? Das Jenseits. Von dort ist noch nie jemand zurückgekommen.“ (Didi Hallervorden)