Mein kleiner Fruchtzwerg

■ Taugt das Leben selbst zum Drehbuchautor? Doku-Soap aus der Geburtsstation (20.15 Uhr, Arte)

Seit 23 Jahren ist Sabine Quandte Hebamme. An die achttausend Babys hat sie auf die Welt geholfen – fast eine Kleinstadt. Wieder klingelt Sabines Handy. Frau Knorr bekommt ihr drittes Kind. Eine leichte Geburt. Schon ploppt ein schreiendes, blutiges Klümpchen ins Leben.

Im Berliner Virchow-Klinikum befindet sich die größte Geburtsstation Deutschlands. Hier arbeiten auch Hebamme Danielle, Assistenzärztin Schauss und Oberarzt Dr. Schäfer. Sie alle macht Regisseur Thomas Kufus zu Hauptdarstellern seiner Doku-Soap übers Kinderkriegen. Die Doku-Soap soll nun den Dokumentarfilm für die Zukunft retten. Wie geht das vonstatten? Und warum muß der Dokumentarfilm gerettet werden? Natürlich wegen der „Quote“.

„Geburtsstation“ will den Anspruch des Dokumentarfilms mit der Machart der Serie verbinden. Drehbuchautor soll das Leben selbst sein, doch will man das Leben auch in Szene setzen, ohne es zu inszenieren. Das ist wie die Quadratur des Kreises. Der Blick von außen definiert und beeinflußt die Betrachteten. Nadja beispielsweise hat große Angst vor der Geburt und bettelt um eine Rückenmarksbetäubung. Daß sie betteln muß, findet man so lange entwürdigend, bis man sieht, wie sich der Anästhesist an Nadjas Rücken abrackert. Nadja ist so dick, daß die Kanüle nicht durchdringt. Das Mitleid des Zuschauers wandert weiter zum schwitzenden Narkosearzt. So theatralisch lamentiert Nadja vielleicht nur, weil die Kamera ihr Leiden bezeugt. Leichter als vermutet kommt Nadjas Baby zur Welt. „Mein kleiner Fruchtzwerg!“ jubelt sie.

Die Doku-Soap legt beim Casting (jawohl) Wert darauf, daß die Charaktere sie selbst bleiben. Aber wenn einer zuschaut, bleibt man selten „man selbst“. Nur die Ärzte müssen wirklich „sie selbst bleiben“ und Entscheidungen auch gegen den Blick von außen treffen. Es ist nicht so einfach. Die vier Folgen enden der Spannung wegen mit einem Höhepunkt und dem Appetizer für die nächste Folge: That's Soap. Aber als Dokumentation ist „Geburtsstation“ nicht nur interessant, sondern auch respektgebietend. Keine sich quälende Erstgebärende wird gezeigt, es wird nicht in die Scheide hineingefilmt. Daß Kinderkriegen Schmerzen und Blut heißt, kommt als mildere Wahrheit.

„Geburtsstation“ kann eine klare „Pro Life“-Haltung vermitteln, weil das Soziale weitgehend ausgeblendet wird. Nur zweimal geht es ans Eingemachte. Eine Aids-Kranke wird mit einem besonderen Schnitt entbunden, um das Baby nicht zu infizieren. Eine Polin muß ihr Neugeborenes zur Adoption freigeben. Ein Kommentar ist nicht erforderlich: Der mutterlose Säugling wird via Parallelerzählung mit einem behüteten Baby konfrontiert. Wie kann man so einen kleinen Fratz weggeben! Da gelingt besonders die Soap in der Doku. Anke Westphal

„Geburtsstation“, Mo. bis Do., jeweils 20.15 Uhr, Arte