Mit Rock 'n' Roll gegen die Nato

■ Angst im Bunker, Gelassenheit auf dem Markt, ausgelassene Stimmung beim Rockkonzert: Belgrad unter der ständigen Drohung von Bombenangriffen

Die Menschen sind müde. Eine schlaflose Nacht nach der anderen. Belgrad steht inzwischen permanent unter Luftalarm. Kommunikations-, Radar- und Raketensysteme in den Vororten rings um die jugoslawische Hauptstadt werden systematisch bombardiert. Immer wieder hört man im Stadtzentrum große Explosionen. Die Nato hat ganz offensichtlich am Samstag die Angriffe auf Jugoslawien verstärkt.

Doch am Sonntag nachmittag demonstriert Belgrad seinen Trotz. Luftalarm hin oder her: Die bekanntesten Rockbands organisierten ein Konzert mitten in der Stadt, um die Einwohner zu unterhalten und gegen den Angriff der Nato auf Jugoslawien zu protestieren. Der „Platz der Freiheit“ war von mehreren tausend Menschen gefüllt. Die Musik dröhnte im ganzen Stadtzentrum. Einige Studenten hatten Zielscheiben an der Brust befestigt. Parolen wie „F117A – hahaha“ und „Sorry we didn't no know that it is invisible“ – („tut uns leid, wir wußten nicht, daß es unsichtbar war“) – triumphierten über das abgeschossene Nato-Flugzeug. Obwohl es regnete, war die Stimmung ausgelassen.

„Schau dich mal um, die kriegen uns nie unter, die Nato kann uns mal!“ sagt der 30jährige Anwalt Milan. Er könne Milośevič, Seselj und diese ganze „Bande von Banausen“ nicht ausstehen, sagt er, doch wenn das Vaterland von außen angegriffen wird, wäre es bizarr, gegen das Regime dieser Bande von Banausen zu demonstrieren. Er werde sich niemals in „ein Loch verkriechen“, und wenn ihn das Militär mobilisieren wolle, würde er sich nicht drücken.

Ganz andere Stimmung herrscht jedoch in der Nacht in einem Luftschutzbunker in einer Wohnsiedlung in Neu-Belgrad. Bestürzte Gesichter. Es ist kalt. Alle schweigen. Erwachsene sitzen auf Stühlen, Decken oder auf dem Boden, Kinder schlafen auf Feldbetten.

„Wie lange wird es nur dauern“, seufzt die Mutter eines 5jährigen Jungen. Am Anfang konnte man den Kindern noch einreden, alles sei ein Spiel, erzählt sie. Doch mittlerweile spürten sie die Angst und Nervosität der Eltern. Wenn die Sirenen heulen, fange ihr Sohn zu zittern und zu schreien an. „Ich hoffe, daß dieser perverse sexbesessene Bill Clinton tot umfällt“, sagt sie verbittert. Wenn es so weitergehe, wolle sie wie viele andere gar nicht mehr in den Luftschutzbunker.

Immer noch funktioniert die Versorgung der jugoslawischen Hauptstadt verhältnismäßig gut. Auf dem „griechischen Markt“ in Neu-Belgrad kann man auch nach Mittag noch Brot kaufen. An Gemüse und Obst mangelt es nicht. Die Metzgerei arbeitet normal. Nach der ersten Panik gibt es keine Hamsterkäufe mehr. Die Stadtbehörden beteuern, daß die Reserven für eine lange Zeit ausreichen. Nur Zigaretten kann man nirgendwo kaufen. Und ein Liter Benzin kostet auf dem schwarzen Markt 9 Mark.

Nachdem der Kriegszustand in Jugoslawien verhängt worden ist, sind alle Medien ausnahmslos gleichgeschaltet. Die Nato wird ausschließlich als „der Aggressor“ bezeichnet. Vom jugoslawischen Standpunkt hat die Nato einem souveränen Land den Krieg erklärt.

Durchhalteparolen werden den ganzen Tag gesendet. „Wir werden vor dem Aggressor niemals nachgeben und unser Land bis zum Ende verteidigen“, erklärte Serbiens Präsident Milan Milutinovic. Die gesamte Opposition, die heftigsten Gegner des Regimes – sie alle sind sich einig, daß die Aktion der Nato „verbrecherisch und skandalös“ sei, und die Existenz der UNO in Frage stelle. „Das Bombardement der Nato entfernt uns jeden Tag mehr nicht nur von einer Lösung der Krise im Kosovo, sondern vom Frieden in der ganzen Region“, erklärte Zoran Djindjic, Präsident der Demokratischen Partei.

Bisher seien über 300 Marschflugkörper auf Jugoslawien abgeschossen worden, verkündete der jugoslawische Generalstab, bis zu 200 Nato-Kampfflugzeuge seien im Einsatz gewesen. Einige Dutzend Kasernen seien bombardiert worden. Fünf Kommandostellen, sechs Einheiten auf dem Terrain, acht Kommunikationsstellen und über 20 Objekte der Infrastruktur. Es gab dabei auch zivile Opfer. Der materielle Schaden sei groß, doch die Verteidigungskraft nicht geschwächt, sagen die offiziellen Stellen. Die jugoslawischen Medien behaupten, daß die jugoslawische Luftabwehr bisher fünf Nato- Flugzeuge und 20 Marschflugkörper abgeschossen habe. Andrej Invanji, Belgrad