Geschlechterkampf am Ende des Jahrhunderts

■ Christina Friedrich inszeniert Horváths „Glaube, Liebe, Hoffnung“ im Schauspiel Bonn

Wie spielt man Horváth am Ende des Jahrtausends? Mit Bildern. Das Klischee vom Atmosphäredichter, von Milieu, Dunst und Zwischentönen, reizt zur Gegenmaßnahme. Die Sprachmaske, das konstruierte Kleineleuteidiom bei Horváth, sollte in den letzten Jahren direkt auf gesellschaftliche Mechanismen verweisen. Christina Friedrich geht in ihrer Bonner Inszenierung von „Glaube, Liebe, Hoffnung“ noch weiter. Nicht die Sprache ist das Medium der Entindividualisierung, sondern das Bild. Und die Bilder der Inszenierung sind dann natürlich nicht die des Autors, sondern die der Regisseurin.

Christina Friedrich ist wie Thomas Ostermeier, der künftige Chef der Berliner Schaubühne, Absolventin der Regieklasse der Ernst- Busch-Schule in Berlin. Und sie hat eine Methode: „Ich suche immer die Brechungen und Räume, die unter der Geschichte liegen. Dann gebe ich den Figuren ein Biotop, ein eigenes Raum- und Zeitsystem. In den Proben geht man auf eine Expedition und versucht, in diese Räume so intensiv und so riskant wie möglich hineinzugehen.“ Nach Anfängen in Weimar inszeniert sie vor allem in Bremen, neben Ausflügen nach Bonn und Krefeld, wo sie eine faszinierend-befremdliche „Leonce und Lena“-Produktion zeigte.

Das Biotop von Horváths „kleinem Totentanz“ ist ein Nekrotop: ein Souterrain mit flachem Glasdach, ein Leichenhaus, ganz gemäß Horváths Szenenanweisung „Anatomisches Institut“. Ein Förderband, an dessen oberem Ende die Inschrift „Ground Transportation“ steht, führt hinab. An der Seite eine breite, niedrige Sichtluke für Voyeure. Kein Ausgang nirgends (Bühne: Petra Maria Wirth). Zwei Schlächtertypen mit Plastikschürzen, Handschuhen und Schutzbrillen bohren Knochen auf. Das Warnsignal ertönt, und das Personal des Stückes wird in Leichenstarre auf dem Fließband hereingefahren. Die Präparatoren beginnen mit routinierter Behutsamkeit, die Toten zu waschen. Einer erwacht, stößt Laute in einer Stammelsprache aus, sucht den Raum ab, reißt sich die Jacke auf, unter der ein Superman-Abzeichen sichtbar wird: der Agent der Außerirdischen im Totenreich.

In diesen makabren Science-fiction-Film stakst nun Horváths Elisabeth (Birte Schrein) im grasgrünen Bikini über das Förderband hinab und will ihren Körper verkaufen, für die Zukunft, wenn sie tot sein wird, versteht sich. Horváths Geschichte vom unschuldigen Mädchen – das in die Mühlen der Justiz gerät, weil es ohne Wandergewerbeschein Miederwaren verkaufte, dann wegen Betrugs verklagt wird, aus dem Gefängnis kommt und ausgerechnet einen Polizisten trifft, der sie aber um seiner Karriere willen verläßt, als er von ihren Vorstrafen erfährt – wird skelettiert, das Stück in einzelne Sätze seziert. Wann immer möglich, ergehen die Akteure sich in sexuellen Hantierungen und Demonstrationen. Die Miederwarenverkäuferinnen üben müde Anmachposen, auf die die Männer hinter der Glasscheibe stieren. Frau Oberinspektor (bei Horváth Frau Amtsgerichtsrat: Alexandra von Schwerin) strippt mehrfach. Nur der Schupo (Hanno Friedrich) darf fürsorglich seinen weiten Polizistenmantel um Elisabeth legen.

Doch dann zerstört die Kriminalpolizei das Polizistenglück. Elisabeth fährt mit kaum mehr menschlichem Geröchel das Förderband hinauf zur Vernichtung wie in ein Krematorium. Unten ziehen die Männer ein Sportdreß an und machen Schießübungen. Mit futuristischen Spielzeugpistolen schießen sie kleine rote Farbpatronen auf die hinter der Scheibe sitzenden Frauen ab. Die Rettung der Selbstmörderin Elisabeth ist eine Farce. Die Wiederbelebungsmaßnahmen der Männer grenzen an Leichenfledderei. Als sie um etwas zu essen bittet, werfen ihr alle anderen Figuren mit grotesken Locklauten Brotkrumen zu wie einem Tier im Zoo. Sie stirbt, die Party kann beginnen. Die Inszenierung erzählt viel von Männern und Frauen, von der Sehnsucht nach Glück und ihrem Scheitern. Sie erzählt nichts von der Gesellschaft, der Welt draußen. Wenn der Schupo eigentlich die Bühne verlassen müßte, um nach einer Schießerei zu sehen, bleibt er im Biotop der Untoten. Dieser „latente Bürgerkrieg“, von dem er spricht, das muß der Geschlechterkampf da auf der Bühne sein.

Doch dort sieht man zu oft das gleiche: die Reduktion der Geschlechterbeziehung auf visuellen Reiz und taktile Nötigung. Erst am Schluß, wenn auch Horváths Text in metaphysisch-sozialen Hohn umschlägt (Elisabeth im Sterben: „Könnt ich hier jemand Zuständigen sprechen?“), erhält die Inszenierung eine beklemmende Eindringlichkeit. Die Liebe am Ende des Jahrtausends: Demütigung der Frauen durch Männer, die beherrscht sind von präfabrizierten Bildern aggressiver Männlichkeit. Das ist der Befund von Christina Friedrichs Horváth-Obduktion. Gerhard Preußer