Weg aus der Sackgasse?

■ Ein kleiner, sehr, sehr kleiner Hoffnungsschimmer: Heute soll Rußlands Premier Jewgeni Primakow in Belgrad Möglichkeiten zu einem Ende des Kriegs auf dem Balkan ausloten. Die Nato bombt indessen weiter, die Meldungen über serbische Greueltaten mehren sich, und der Einsatz von Nato-Bodentruppen scheint bei einer Fortsetzung des Krieges unausweichlich.

Rußlands Präsident Boris Jelzin schickt Premier Jewgenij Primakow auf eine Sondermission nach Belgrad. Heute soll Primakow, der von Außenminister Igor Iwanow und Verteidigungsminister Igor Sergejew begleitet wird, mit Serbiens Präsident Slobodan Milosevic zusammentreffen. Aus dem Kreml verlautete, „an dieser Reise sei buchstäblich seit den ersten Minuten nach dem Beginn der Luftschläge gearbeitet worden“. Es sei nicht mehr als die prinzipielle Fortsetzung der Kremlpolitik, die grundsätzlich an einer politischen Lösung des Konflikts festhält. Nach Belgrad könnte der russische Premier zu Gesprächen nach Bonn weiterreisen. Allerdings wurde die Reiseroute in Moskau noch nicht endgültig bestätigt. Die Nato begrüßte die Reise. Nato-Sprecher Harald Bungarten sagte: „Wir freuen uns, daß Rußland in der Kosovo-Krise wieder eine diplomatische Initiative ergreift.“ Die Allianz unterstütze jeden Vorstoß, die jugoslawische Führung zum Einlenken zu bewegen.

Unterdessen starteten gestern US-Kampfflugzeuge zu neuen Angriffen auf Ziele in Jugoslawien. Sechs Jäger der Typen F-16 und F-15 hoben vom US-Stützpunkt im norditalienischen Aviano ab. Am Morgen hatte ein Nato-Einsatz geendet, mit dem die Allianz die sogenannte Phase zwei des Nato- Plans eingeleitet hatte. An den bisher offenbar heftigsten Luftangriffen waren auch wieder vier Tornados der deutschen Luftwaffe beteiligt. Mehr als 70 Kampfflugzeuge bombardierten unter anderem Stützpunkte der militarisierten serbischen Sonderpolizei im Kosovo. Wie in Brüssel verlautete, wurden die Hauptquartiere dieser Einheiten in Pristina und weiter südlich in Prizren zerstört. Auch Flughäfen in Zentraljugoslawien wurden attackiert.

Nach Berichten jugoslawischer Medien schlugen in Pristana auch etwa 20 Marschflugkörper ein. Das Staatsfernsehen zeigte das von drei Projektilen getroffene Polizeihauptquartier der Provinzmetropole, das in Flammen aufging. Bei den Attacken auf Bodentruppen wurden albanischen Angaben zufolge vier Panzer zerstört. Über Opfer lagen keine Angaben vor. Der russische Verteidigungsminister Igor Sergejew sprach jedoch von bislang 1.000 Zivilisten und 100 Soldaten, die bei den Angriffen getötet worden sein sollen.

Der britische Premierminister Tony Blair drohte Belgrad gestern mit der Ausweitung der Nato- Luftangriffe, falls jugoslawische Armee und Sondereinheiten ihre Gewalt gegen die Kosovo-Albaner nicht beenden. Es müsse dafür gesorgt werden, daß Milosevic „einen sehr hohen Preis“ für sein Vorgehen bezahlt. Die Alternative zum Vorgehen der Nato seien ethnische Vertreibungen, bei denen Tausende unschuldige Menschen getötet würden, und die Destabilisierung der gesamten Region, betonte Blair.

Gestern wurde von weiteren Greueltaten der Serben im Kosovo berichtet. So sei Fehmi Agani, der wichtigste Berater des Führers der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, nach Nato-Angaben am Sonntag exekutiert worden. Ein Vertreter der Allianz berichtete in Brüssel, der 66jährige Agani und der 37jährige Journalist Veton Surroi, die beide an den Friedensverhandlungen in Rambouillet bei Paris als Berater Rugovas teilgenommen hatten, seien mit vier weiteren Personen in der Gebietshauptstadt Pristina hingerichtet worden.

Unterdessen mehrten sich die Rufe nach einem Einsatz von Nato-Bodentruppen. „Man kann den Krieg nicht auf Luftangriffe beschränken“, sagte der französische General Philippe Morillon, 1993 Befehlshaber der UN-Truppen in Bosnien, der Zeitung Le Parisien von gestern. Die Nato hätte längst Bodentruppen in das Kosovo schicken müssen, wo die Serben eine Politik der verbrannten Erde betrieben, sagte Morillon. Ein „sauberer Krieg“ sei ebenso eine Illusion wie ein Krieg ohne Verluste. „Was sind das für Soldaten, die töten wollen, aber nicht sterben?“ sagte Morillon.

Ähnlich äußerten sich der britische General Michael Rose und der Belgier Jean Cot, wie Morillon ehemalige Befehlshaber der Blauhelme in Bosnien. Die Nato hätte Truppen entlang der Grenzen Makedoniens, Kosovos und Albaniens stationieren sollen, sagte Rose der Zeitung Le Figaro. Cot sprach von einer „intellektuellen Täuschung“ zu glauben, Luftangriffe seien ausreichend.

Frankreichs Außenminister Vedrine bekräftigte dagegen, daß der Einsatz von Bodentruppen nicht geplant sei. Darüber seien sich alle Beteiligten einig. Auch Bundesaußenminister Joschka Fischer schloß einen Einsatz von Bodentruppen aus. khd/bo