Die Bundeswehr sorgt für ihre Soldaten...

■ ... auch psychologisch. Seit dem ersten Out-of- area-Einsatz gibt es Familienbetreuungsstellen

Zuhören, trösten, helfen. Ein ungewöhnlicher Einsatzbefehl für einen Soldaten. Hauptfeldwebel Jürgen Gast ist seit drei Jahren Leiter der Familienbetreuungsstelle der 10. Panzerdivision Sigmaringen. Über 22.000 Soldaten gehören dazu, verteilt auf mehrere Standorte in Süddeutschland. 900 von ihnen sind in Makedonien stationiert, um im Notfall die inzwischen abgezogenen OSZE-Beobachter im Kosovo zu schützen. Daheim bleiben Frauen, Kinder, Mütter und Väter, Brüder und Schwestern. Sie machen sich Sorgen.

Sorgen vor allem um die Gesundheit ihrer Söhne, Männer, Väter, Brüder. Manchmal rufen bei Jürgen Gast aufgelöste Angehörige an, weil sie seit Tagen nichts von ihrem Sohn oder Mann gehört haben. Sie befürchten das Schlimmste. „In der Regel haben die Soldaten einfach vergessen, sich zu Hause zu melden.“ Jürgen Gast kennt seine Männer.

Auch banale Dinge werden angesprochen: was es dort zu Essen gibt, ob er vor Ort seine Lieblingszigaretten bekommt, ob die Pritschen nicht zu hart sind? Viele dieser Informationen können die Verwandten in wöchentlich erscheinenden Mitteilungsblättern nachlesen. Bei Nachfragen steht Jürgen Gast bereit. Alle zwei Wochen lädt er zudem die Angehörigen zum Erfahrungsaustausch in die Kaserne ein.

Allein im Heer sind 47 Familienbetreuungszentren (FBZ) eingerichtet worden. Rund 170 Soldaten kümmern sich um 12.000 Angehörige. Erst 1993 wurde dieses System der Information, Hilfe und Beratung eingerichtet. Damals waren in Somalia erstmals deutsche Soldaten „out of area“.

Die Zentren sind Vermittlungsstellen zwischen den Soldaten und ihren Verwandten, manchmal auch Pufferzone. Der Streß wird nach längerer Trennung groß. Frust staut sich auf. Jürgen Gast bekommt die Anspannung zu spüren, unter der die Familien leiden. Er ist für die Betreuung von 220 Angehörigen zuständig. Im Schnitt bekommt er zehn Anrufe am Tag. Seit Beginn der Nato- Operation in Jugoslawien gebe es ein „erhöhtes Aufkommen“, sagt er.

Manche wollen einfach nur mal wissen, wer der Mann hinter der Telefonnummer ist, die alle Angehörigen bekommen. Andere wiederum rufen täglich an, um das Neueste aus dem Einsatzgebiet zu hören. Trotz aller Sorgen stünden aber auch die Angehörigen voll hinter dem Einsatz. „Sie sind stolz, daß ihre Männer dazugehören.“

Das Büro von Jürgen Gast ist klein. Zwei Mitarbeiter hat er, das Telefon ist rund um die Uhr besetzt. Nur erfahrene Soldaten arbeiten hier. Jürgen Gast ist 43 Jahre alt und aktiv in seiner evangelischen Landeskirche. Auf den Einsatz am Telefon hat ihn die Bundeswehr sieben Tage lang intensiv vorbereitet. Der Streß für Angehörige ist enorm, wenn sie erfahren, daß ihrem Sohn oder Mann etwas zugestoßen ist. Hat Jürgen Gast gelernt, wie er sich in solchen Situationen verhalten muß?

Eine traurige Nachricht mußte Jürgen Gast noch nie überbringen. „Zum Glück“, sagt er. Aber er weiß, daß sich Soldaten und ihre Angehörigen stärker als sonst Gedanken über den Tod machen. Die Lage der Soldaten in Makedonien ist sicher. Aber was, wenn es zu Bodeneinsätzen kommt? Was, wenn die ersten Soldaten gefallen sind? Über die Folgen eines solchen Einsatzes wird offen gesprochen, sagt Gast, obwohl alle wissen, daß dieser Fall mehr als unwahrscheinlich ist.

Die Männer an der Familien- Hotline sind Seelsorger, Psychologen und Sozialarbeiter in einer Person. Sie organisieren Nachbarschaftshilfen, helfen beim Lohnsteuerjahresausgleich, und wenn es sein muß, schicken sie einen Trupp Soldaten los, um den Garten umzubuddeln. Sollte etwas passieren, bekommen die Angehörigen umgehend die für sie wichtigen Informationen. „Ich selbst stehe täglich im Kontakt mit den Soldaten vor Ort“, sagt Gast. Er läßt sich die Lage schildern, überbringt Grüße aus der Heimat oder ermuntert die Soldaten, sich mehr um die Daheimgebliebenen zu kümmern.

Die Familien sollen umfassend unterrichtet werden. Ein Sprecher der 10. Panzerdivision sagt, sie wären immer besser informiert als die Medien. Das ist auch für die Truppe vor Ort wichtig. Denn sind die Angehörigen verunsichert, ist es der Soldat auch. Thorsten Denkler, Bonn