Kauz als Kontroll-Freak

Mit unerhörtem Geschick vervielfältigt der Freigeist Jimi Tenor seine Persönlichkeiten bis ins Groteske  ■ Von Volker Marquardt

Was ist das eigentlich für einer, dieser Jimi Tenor? Muttersöhnchen, Lounge-Pop-Queen, Dr. Seltsam, Hollywood-Produzent, pickliger Computer-Nerd, Albino-Bruder von George Clinton, Action- Painter, lustiger Spacken, Tastenwizard, schleimiger Elch – die Zuschreibungen für den kauzigen Finnen sind so zahlreich wie bei nur wenigen Pop-Künstlern. Dieses Spiel mit den Identitäten, die Tenor auf einer einzigen Platte so häufig wechselt wie Madonna in ihrer ganzen Karriere, füttert er mit der absoluten Kontrolle über seine images. Ohne Tenors Segen gerät kein Bild in Umlauf. Der Mann weiß also, wie man von sich reden macht.

Schon mit seinem Debüt Inter-vision, dessen Cover zerschnittene Porträtaufnahmen zeigten, zielte er auf perfekte popmoderne Inszenierung ab. Zudem veröffentlichte er seine Vision von Lounge-Pop made in scandinavia bei den finnischen Elektro-Käuzen von Säkho und im weltweiten Vertrieb von Warp. Bei seinen Cross-Effekten kennt er kein Pardon. Auch daß er zahllose Remixe in Umlauf brachte, änderte wenig daran, daß diese Strategie als Tabubruch begriffen wurde. Als, zugegeben, lukrativer für beide Seiten, denn sowohl Tenor als auch Warp profitierten mächtig. Mit „Take Me Baby“, einem 80er-Wave-Monster, unterlief dem fidelen Selbstdarsteller sogar über die Popstämme hinweg ein richtiger Hit. Der Mix macht's bei Tenor.

Auch mit „Year Of The Apocalypse“ startet er gerade bis in die heavy rotation von MTV durch. Diesmal nicht mit den 80ern, sondern mit Chören und Soundeffekten, die an George Clinton geschult sind, aber auf einem House-Trampolin agieren. Ein andere Legende der 70ies, Sun Ra, schaut auch gelegentlich mit ihrem Raumschiff vorbei. Das klingt nicht nur durchgedreht, Jimi Tenor ist neben Beck der letzte große Freigeist der Branche. Und ein Unterhalter von Format, der schon mal im silbernen Umhang auf einem weißen Hengst Audienz hält.

Daß sein zweites Album, obwohl das Cover eine Hommage an die Verfilmung des Wells-Romans Die Insel des Dr. Moreau ziert, ausgerechnet Organism heißt, kann dabei eigentlich nur seinem Hang zur Selbstironie geschuldet sein. Aufgenommen in seiner Heimatstadt Lahti, in Berlin, London, Barcelona, New York und auf eben dieser Insel mit den rosa Palmen sind die zehn Stücke alles andere als organisch. Vielmehr könnten sie aus der Feder des größenwahnsinni-gen Dr. Moreau stammen, der auf einer Pazifikinsel aus Tieren menschenähnliche Wesen herstellt. Solche Hybriden sind auch die Sache des Soundalchimisten aus Lahti mit den vielen Persönlichkeiten.

Darin steht ihm übrigens Luke Vibert, der das Vorprogramm dieser „Drum Rhythm Night“ im Mojo ausrichtet, in nichts nach. Der Spezi von Aphex Twin veröffentlicht u. a. als Plug und als Wagon Christ stets hochwertige Elektronika.

Mi, 7. April, 21 Uhr, Mojo Club