Erkenne nur eines – die Liebe

■ Volker Metzler inszeniert in Rostock zur Eröffnung des neuen Volkstheaters am Stadthafen Oliver Czesliks „Havarie in Afrika“

Es gibt diese Abende. Da beginnt das Theater dröhnend. Und es ist ein schlechtes Vorzeichen. Ein junger Mann betritt die Bühne, einen weißen Anzug auf der nackten Haut. Zur ohrenschwellenden Schwermetallmusik ruckt er wie ein Hilfsroboter und ruft durchs Mikroport: „Erkenne nur eines – die Liebe, und erkenne, daß nichts anderes der Mühe wert ist.“ Aber Lautstärke allein ist noch keine Garantie für Erkenntnis.

„Havarie in Afrika“ handelt vom Krieg. Damals vergewaltigten Serben die Bosnierin Ista und ermordeten ihre Kinder. Jahre später erkennt die Frau ihre Folterer in Deutschland wieder. Auf einem Fährschiff zwingt sie die beiden Männer mit vorgehaltener Waffe, die Wahrheit zu bekennen.

Dieselbe Geschichte gab es schon einmal. In Ariel Dorfmans Broadway-Erfolg „Der Tod und das Mädchen“. 1992 spielte sie in Chile. Dem erfolgversprechenden Muster hat Oliver Czeslik die Figur des zweiten Schiffsoffiziers hinzugefügt. Ein Agent der Zuschauer, schwankt er zwischen den Fronten. Darf ein Opfer seinerseits die Täter zu Opfern machen? Oder muß es sie dem Gericht überantworten?

Aber Czeslik fragt nur rhetorisch. Er findet nämlich, man dürfe Täter und Opfer nicht durcheinanderwerfen. Obwohl er in einem arabesken Schlenker am Ende den serbischen Schurken nach seiner im Krieg getöteten Frau Olga rufen läßt, macht er von Anfang an klar, wer in seiner Geschichte die Guten, wer die Bösen sind. Weil er aber andererseits den „kruden, banalen Realismus“ verabscheut, hat er sein Stück mit einer Metaebene versehen. Ein Teil der Handlung wird als Film erzählt, über dessen Drehbuch die Schaupieler im Stück verhandeln. Zudem reflektieren sechs Exkurse in einer seltsamen Mischung aus Poesie und Akademismus erkenntnistheoretische Probleme. Aufklären und die Mittel der Aufklärung zugleich in Frage stellen, nennt Czeslik sein Verfahren.

„Havarie in Afrika“ gewann den Stücke-Wettbewerb, den das Volkstheater Rostock zur Eröffnung seines neuen Theaters am Stadthafen ausgeschrieben hatte. In Rostock geriet es in die Hände von Volker Metzler. Der rückt dem realistischen Grundplot mit den Mitteln des antinaturalistischen Theaters zu Leibe.

Im Hintergrund des schwarzen Bühnenkastens steht eine Blechwand. Die dröhnt, wenn man dagegenschlägt. Suchscheinwerfer irren über die Szene, und rotes Licht taucht den Oberschurken in Blut, wenn er sich als wilder Nationalist zu erkennen gibt. Die Pistole, mit der Ista ihre Peiniger und den Offizier in Schach hält, gibt es genausowenig wie die Seile, mit denen die Schurken gefesselt werden. Dafür gibt es Metaphorik. In trockenem Laub wäscht der Offizier seine Hände in Unschuld. Und gelegentlich ruft der junge Mann im weißen Anzug Sätze ins Mikroport. Sehr laut. Soviel blieb von der Reflexion der aufklärerischen Mittel.

Zwischen den Szenen kommt Film. Ein Kind treibt sich an Bord eines Schiffes herum und freundet sich mit einem türkischen Jungen an. „Türkenfotze“ sagen die Serben auf der Bühne zu der bosnischen Frau. Das Kind ist der Sohn eines dieser Serben. Die Versöhnung, lernen wir, bleibt auf die zweifelhafte, fiktive Ebene des Films beschränkt. Das Theater zeigt sich unversöhnlich.

Und wirkt wie gefriergetrocknet. Volker Metzler muß sein Handwerk in einer Fabrik für Pulverkaffee gelernt haben. Die Schauspieler sitzen auf Stühlen. Manchmal gehen sie diagonal über die Bühne. Wegen der Spannung. Sonst verhalten sie sich überwiegend ruhig. Wenn Undine Cornelius sagt, sie habe als Muslima in Bosnien gelernt, wie sich die Juden gefühlt hätten, macht sie vor „Juden“ eine kleine Pause. Dann wissen die Zuschauer, das ist jetzt wichtig. Wenn sie sich an die Qualen ihrer Kinder erinnert, muß sie sehr stark seufzen und ächzen. Wegen der Glaubhaftigkeit. Aber den Herren Serben ist das wurscht. Sie sind grundböse. Laut böse Jan Baake. Wofür er alsbald erschossen wird. Leise böse Dirk Donat, das paßt zu seinem schwarzen Abendanzug. Er wird nicht erschossen. Also beschwert er sich ausführlich, daß er widerrechtlich festgehalten würde. Das sieht man aber nicht, wegen der Naturalismus-Furcht des Regisseurs. Erst als Ista seinen Sohn – den Jungen aus dem Film – mit der imaginären Waffe bedroht, sagt auch Dirk Donat die Wahrheit. Indes ringt der Schiffsoffizier mit sich und der Situation. Wie ein zerquälter Familienvater auf Wochenendausflug. Einst war er als Kapitän verantwortlich für eine Schiffshavarie vor Afrika, jetzt fordert er Vernunft und die Einhaltung der Vorschriften. Als sich niemand darum schert, deckt er kurz vor Schluß die Szene mit weißen Tüchern zu und sagt grämlich: „Es tut mir leid!“ Aber dem Regisseur tut nichts leid. „Was hast du mit meinem Herzen gemacht?“ läßt er es süßlich aus der Tonanlage singen. Bleibt aber die Antwort schuldig. Nur der junge Mann ruft noch einmal ins Mikroport: „It has to get worse before it gets better.“ Da sind wir erschrocken zusammengezuckt. Nikolaus Merck