Was kann ich für Sie tun?

■ Wer sich in Bremen zum Call-Center-Agenten ausbilden läßt, hat gute Chancen. Und am Ende der dreimonatigen Ausbildung muß nicht immer gleich eine Vollzeitstelle stehen.

Der gemeine Call-Center-Agent ist weder ein anständiger Schizo noch ein unanständiges Call Girl. Dies vorneweg – es scheint hier um Wichtigeres zu gehen.

Zum Beispiel um Bremens Zukunft. Wenn diese rufgeschädigte Stadt nicht schleunigst für eine ordentliche Ausbildung von Call-Center-Agenten sorgt, dann gehennämlich deren potentielle Arbeitgeber lieber nach Amerika, Honolulu oder sonstwohin – Telefonmarketing braucht nämlich nicht unbedingt die Anbindung vor Ort. Dies zumindest befürchtet Bremens kleine, aber geschäftige Partei der Arbeit (AFB) und rausgekriegt hat sie das, weil sie hier zwei Bremer Call Center besucht hat und sich dort bittere Klagen anhören mußte. Nicht über die Wirtschaftsförderung – das gehe schon in Ordnung, heißt es und man sieht rund um den Flughafen ja auch schon förmlich die Luft schwirren bei all der Telefonitis im Telematik Zentrum Bremen.

Nein, hat die Arbeiterpartei bei den Firmen Schuricht und Profi Call rausgekriegt: Das Problem ist der Mangel an Arbeitskräften. Und deswegen hat sie eine kleine Anfrage an den Bremer Arbeitssenator Uwe Beckmeyer (SPD) abgeschickt.

Dessen Antwort scheint wahrhaftig auf einen gewissen Handlungsbedarf hinzuweisen: 131 neue Telefon-Agenten haben die beiden Bremer Weiterbildungseinrichtungen cbm (Computer Anwendungsberatung, Bildung, Medienentwicklung) und BWU (Bildungszentrum der Wirtschaft im Unterwesergebiet) im vergangenen Jahr ausgebildet – für dieses Jahr sollen es gut doppelt soviel sein – die 25 Bremer Call Center selbst aber prophezeien für die nächsten Jahre einen Bedarf von weiteren 1.400 Arbeitskräften.

Laßt das klagen, kontert trotzdem sinngemäß das Team von der BWU in Richtung Call Center: Verkauft euch lieber besser. Telegate, die in Bremen angesiedelte Konkurrenz zur alten Telekom-Telefonauskunft, aber auch die Arbeiterwohlfahrt mit ihrem Service Call Bremen hätten's jetzt vorgemacht. Die gingen mit Anzeigen in die Boulevard-Presse und da schnackelte es: „Da kommt man an die Hausfrauen, die Sozialhilfeempfänger, aber auch an Berufstätige ran, die umschulen wollen“, sagt Roswitha Preising vom BWU. Wer sich beim Arbeitssenator beklage, der kapriziere sich viel zu sehr allein auf die Arbeitslosen.

Die BWU-Klientel, die in dem Muster Call Center an der Flughafenallee gerade die letzten Tage der dreimonatigen Trainingsmaßnahme absolviert, gibt ihr quasi biographisch recht. Thara Höge, zum Beispiel (“Mein Hobby ist telefonieren“), mit einer Krankenschwesternausbildung. Oder Nicole Chwalczyk, Rechtsanwalts- und Notarsgehilfin (“Die Ausbildung war nicht gerade prickelnd“), dann vier Jahre Busfahrerin.

Oder Andree Wohltmann. Ein netter Typ, der mit seinen 26 Jahren auch noch eher zu den Küken hier unter den 15 Lehrlingen gehört. Der aber schon eine erste Karriere als Sozialversicherungs-Fachangestellter hinter sich hat, dann als Versicherungs-Kaufmann, und der lernen mußte, daß das mit dem sicheren Job so sicher nun auch wieder nicht ist. Und langweilig dazu. Jetzt will er sich seinen Traum erfüllen und Literatur studieren und braucht dafür einen einfachen klaren Geldjob.

Keine Frage, der kann's. Und ist ein leuchtendes Beispiel dafür, daß der Call-Center-Agent nicht in die Schmuddelecke gehört. Immerhin habe doch heute fast jeder zweite der rund 65.000 Call-Center-Agenten Abitur, weiß die FAZ. Und so hochspezialisierte Versandhäuser wie das Bremer Unternehmen Schuricht stellt sowieso nur ausgebildete Kaufleute und Techniker ein, um ihre Produkte zu kommunizieren. Die Bildungsprofis von der BWU betonen denn auch die hohen Anforderungen an ihre Schüler (Flexibilität, Nervenstärke, Sprachkenntnisse) und bringen ihren Schülern in den ersten drei Wochen nicht das telefonieren, sondern erstmal das Rollenspielen bei.

Andree Wohltmann aber kann auch seine Telefonreden inzwischen ohne Punkt und Komma. Nein, nicht, daß der junge Mann ein haltloser Quatschkopf wäre. Als Profi erweist er sich hier in diesem schicken Großraum-Büro – zwei Tage bevor sein Abschluß-Praktikum bei Telegate beginnt –, weil er seine Telefonate abgeklärt und freundlich ganz ohne den berühmten „Gesprächsleitfaden“ durchzieht. Dieser gehört zur Standard-Ausstattung in einem normalen Call Center – von der Telefonauskunft bis zum vielseitigen Profi Call Bremen, die vom Automaten-Hersteller bis zur Reederei, vom Inbound (Reklamationen, Bestellungen, etc) bis zum Outbound (Verkaufsgespräche) einen Querschnitt durchs Telefonmarketing anbieten.

Der Gesprächsleitfaden aber, sagt Helmut Reinke von Profi Call ist nichts für die Presse: „Das ist die Alchemie. Damit machen wir aus Blei Gold.“ Mit dem Gesprächsleitfaden nämlich lernt der Laie, wie man aus dem schroffen Nein des potentiellen Kunden am anderen Leitungsende ein betroffenes Jajajajjjjja macht. Wie aus dem binärbösen Ja/Nein zumindest noch ein nettes „Fröhliche Ostern!!“ wird. Die taz hat nach monatelangen Recherchen Einblick in diese Alchemie bekommen und kann Ihnen heute ganz im Vertrauen verraten: Der erste Satz eines Profi-Call-Inbound-Gesprächs beginnt mit einem freundlichen „Guten Tag. Mein Name ist Helmut Reinke, was kann ich für Sie tun?“

Man habe, so die nette Drei-Frauen-Crew vom Bildungsträger BWU, bei den Call Centern mal angefragt, ob das mit diesem grausamen Einstiegssatz wirklich so sein muß. Es muß, war die Antwort. Der Kunde will das so. Und für das Betriebsklima sei das auch gut. Die Telekommunikation also wird wohl auch in Zukunft „lächeln“. Doch auch dagegen weiß man im Call-Training Abhilfe und rät dem gemeinen Kunden, den freundlichen Redefluß des Agenten einfach durch ein prägnantes „Bitte jetzt den letzten Satz in Ihrem Gesprächsleitfaden laut vorlesen“ zu unterbrechen – (“Dann entschuldigen Sie bitte die Störung!“). ritz