Rasanter Wandel des Alltags

Seit der PC zum wichtigsten Arbeitsgerät geworden ist, boomen Fort- und Weiterbildungen im Multimedia-Bereich. Auch neue Ausbildungsberufe sind reihenweise entstanden. In der Branche herrscht indes Uneinigkeit über den Sinn einer geregelten Ausbildung  ■ Von Anja Dilk

Die Namen dieser Berufe spiegeln den spröden Charme der aufgeschreckten Branche: Film- und Videoeditor, IT-System-Elektroniker, Mediengestalter für Digitale und Printmedien, Werbe- und Medienvorlagenhersteller. Keine Frage, die neuen Berufsbilder machen mächtig etwas her, kaum überraschend, daß sie enorm gefragt sind. Allein in den Informations- und Telekommunikationsberufen (IT) drängeln sich derzeit 12.000 Jugendliche auf den Ausbildungsplätzen, in den neuen Medienberufen sind es noch mehr als 2.000. Seit der PC zum wichtigsten Arbeitsinstrument geworden ist, expandiert der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt im Dunstkreis von Multimedia.

Allerdings: Die Euphorie, die noch vor drei, vier Jahren auf den Markt schwappte, als etwa die US- Unternehmensberatung Arthur D. Little über das Wachstumspotential der Branche in Millionenhöhe orakelte, ist längst abgeklungen. Die jüngsten Untersuchungen von Little und vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) erwarten deutschlandweit 153.000 bis 182.000 neue Arbeitsplätze für die nächsten 10 bis 15 Jahre.

Genaue Schätzungen sind schwierig: zum einen, weil es in der Branche keine traditionellen Arbeitsstrukturen gibt, heißt es beim Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Viele Leute werden projektbezogen als freie Mitarbeiter eingestellt. Dennoch: Unbestritten besteht in den Bereichen neue Medien, Informations- und Telekommunikationstechnik großer Bedarf. Fort- und Weiterbildungen, zu denen Betriebe ihre Mitarbeiter schickten, um sie fit für die Technik der Zukunft zu machen, boomen.

Während Unternehmen wie Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren über Kurse, Seminare und Veranstaltungen mit so verlockenden Titeln wie „CAD-Visualisierung“ oder „3-D-Modeling“ ihr Know-how aufpeppen mußten, wurden seit 1996 ein ganzer Schwung neuer Ausbildungsberufe aus dem Boden gestemmt, die der Entwicklung Rechnung tragen sollen – wie die neuen Medienberufe mit dem Film- und Videoeditor, dem Werbe- und Medienvorlagenhersteller oder dem Mediengestalter Bild und Ton. In diesem Jahr sind der Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, der Kaufmann für audiovisuelle Medien und der Mediengestalter für Digitale und Printmedien hinzugekommen.

Viele Unternehmen sind froh, nun auch im IT-Bereich ausbilden zu können, glaubt die Industrie- und Handelskammer in Berlin. „Für den Bereich der betrieblichen Ausbildung tragen die neuen IT- Berufe dazu bei, die Fachkräftelücke zu schließen“, heißt es in einem Papier des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Berlin. „Bestimmte Aufgaben konnten bisher nur Hochschulabsolventen und Quereinsteiger übernehmen“, erläutert Henrik Schwarz vom BIBB. „Doch seitdem es in dieser Technik standardisierte Produkte und Verfahren gibt, brauche ich in einem Unternehmen nicht mehr für jede dieser Aufgaben einen Hochschulinformatiker. Facharbeiter aus der dualen Ausbildung können diese Jobs übernehmen.“

Ob die duale Ausbildung der richtige Weg ist, um auf die Bedürfnisse der neuen IT-, PC-, internet- und multimedia-geschwängerten Wirtschaftswelt zu reagieren, ist umstritten. „Alle hängen an dem dualen System der Ausbildung, aber für diesen quirligen Bereich, in dem rasanter Wandel zum Alltag gehört, ist das nicht immer geeignet“, kritisiert Jobst Hagedorn von der Abteilung Berufsbildung bei der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände in Düsseldorf. Firmenorientierte Weiterbildung sei zielgenauer und billiger. Entscheidend sei die Kombination von Grundlagenwissen und Experimentierfreudigkeit oder, wie Hagedorn formuliert: „die Bereitschaft, sich selbst hemmungslos auszubeuten und mit Lust am PC herumzuspielen. Das entspricht dem Medium.“ Ausbildung könne dann ein sinnvoller Weg sein, wenn die Dynamik in einem Bereich allmählich zum Stillstand komme.

Horst Kowalak, Leiter der Abteilung Bildung beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Düsseldorf sieht das anders. Das Argument, im Multimediabereich veralte Wissen so schnell, daß eine Ausbildung dem kaum gerecht werden könne, hält er nicht für entscheidend. Schließlich sei die deutsche Berufsausbildung so eingerichtet, daß ein Automechaniker, der am Benz gelernt hat, auch noch mit dem Modell vom nächsten Jahr arbeiten kann. „Das ist im informationstechnischen Bereich genauso.“

Eine geregelte Ausbildung hat zudem einen Vorteil: Sie bietet standardisierte, formalisierte Inhalte und gewährt damit eine, wie es im Jargon heißt, „Transportabilität“ der Qualifikation. Sprich: „Wenn jemand mit einem Facharbeiterbrief anrauscht, weiß jeder, was derjenige gelernt hat.“

Für Arbeitnehmer, die längst der Zeit einer Erstausbildung entwachsen sind, bleibt nur die Weiterbildung. Damit bei der Flut von Angeboten, die den Markt überschwemmen, transparenter wird, was sich hinter einem Etikett verbirgt, basteln die Industrie- und Handelskammern derzeit an einer Reihe von Fort- und Weiterbildungsordnungen. „In den vergangenen Jahren wurde alles Mögliche angeboten, da sind Ordnungen unerläßlich“, sagt Wortmann vom DIHT, „wir arbeiten derzeit an einer Reihe von projektorientierten Fortbildungsbausteinen, die den Bedürfnissen der Unternehmen entsprechen. Mit umfassenden Lösungen kann keiner mehr was anfangen.“