Rotierende Moleküle im Netz

Dissertation online: Das Internet – preiswert und platzsparend – bietet eine vielversprechende Alternative zu den herkömmlich gedruckten Arbeiten. Ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)  ■ Von Lutz Göllner

Doktorarbeit ist nicht gleich Doktorarbeit. Zu dieser nüchternen Erkenntnis kamen die Mitarbeiter des Projektes Dissertationen online, als sie die Promotionsschriften der Kollegen aus anderen Fachbereichen einmal genauer betrachteten. Naturwissenschaftliche Publikationen sind nicht so umfangreich, wie die der Kollegen aus den Geisteswissenschaften, berichtet Professor Peter Diepold von der Berliner Humboldt-Universität, „dafür arbeiten sie eher mit gestalterischen Techniken wie Grafiken und Layout und haben meistens eine umfangreichere Literaturliste“.

Seit 1998 arbeitet der Erziehungswissenschaftler Diepold zusammen mit Vertretern aus vier anderen Fachgesellschaften – der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV), der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), der Gesellschaft deutscher Chemiker (GDCH) und der Gesellschaft für Informatik (GI) – an Regeln zum Publizieren und Archivieren von Dissertationen im Internet. Gefördert wird dieses Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

„Zwar haben bundesweit schon einige hundert Fachbereiche die Möglichkeit von Promotionsveröffentlichungen im Internet zugelassen“, berichtet Diepold, „doch eine Reihe von Fragen wie die Authentifizierung, das Wiederauffinden und die Dokumentenformate sind noch ungeklärt.“ Einige Hochschulen räumen Fakultät für Fakultät den Promoventen die Möglichkeit ein, via Internet ihrer Veröffentlichungspflicht zu genügen. Andere Universitäten – wie die Humboldt-Universität – fassen den Beschluß gleich im akademischen Senat, so daß die Regelung automatisch für alle Fachbereiche gilt.

Die Vorteile bei Veröffentlichungen von Dissertationen im Internet liegen auf der Hand: Die Promoventen sparen Druckkosten und die Universitätsbibliotheken werden entlastet. Mehr als 22.000 Dissertationen werden jährlich bearbeitet. Allein die Bibliothek der Technischen Universität Berlin muß bei etwa 500 Dissertationen pro Jahr mit jeweils 50 Exemplaren 25.000 Schriften an die Bibliotheken im gesamten Bundesgebiet versenden. Im Gegenzug erhält die Bibliothek der TU Berlin rund 5.000 Dissertationen anderer Hochschulen.

Das Einspeisen der Arbeiten in den Textserver der jeweiligen Universitätsbibliothek ist da wesentlich kostengünstiger. Zudem sind die Dokumente für andere Wissenschaftler leichter zugänglich als im bisher üblichen Fernleiheverfahren. Die oft umständlichen Prozeduren bei der Einspeisung können umgangen werden, wenn die Doktoranden gleich beim Schreiben ein bestimmtes Format benutzen, versichert Professor Diepold. An einen Empfehlungskatalog für Formate wird ebenso gearbeitet wie an Konzepten für den elektronischen Datentransfer. Gleichzeitig leisten er und seine Kollegen Pionierarbeit und beraten Autoren und Bibliotheken zum Thema Online-Publikation.

Als erstes konkretes Ergebnis konnte die Projektgruppe ein Anmeldeformular für die Katalogisierung von Dissertationen vorlegen. Dieses Formular wurde in Absprache mit der Deutschen Bibliothek erarbeitet, so daß das Retrieval, das Wiederauffinden der Arbeiten, in Zukunft gesichert ist.

Peter Diepold ist davon überzeugt, daß diese Doktorarbeiten in Zukunft einiges mehr zu bieten haben als ihre gedruckten Kameraden im Regal. Es würden neue Formen von Dissertationen entstehen, Chemiker können in Zukunft ihre Moleküle in der Projektion rotieren lassen und Wirtschaftswissenschaftler müssen Simulationsmodelle nicht länger trocken beschreiben. Bei dieser Aussicht lohnt sich der Blick ins Internet bestimmt.