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Fette Überschrift

■ Oder die Last mit dem großen Wenderoman: Peter Schneider verdrahtet auch in "Eduards Heimkehr" deutsche Geschichte mit deutschem Sex

Ohne geschichtsträchtige Symbolik kommt heutzutage auch die natürlichste aller Vergnügungen nicht mehr aus. Schon gar nicht in Berlin. Wenn es hier zwei miteinander treiben und der Höhepunkt angesteuert wird, klingt das so: „Das spröde Bett hob sich, fand den Weg durch das halboffene Normfenster nach draußen, stand unbegreiflich lange in der bleigeschwängerten Luft zwischen den Plattenbauten, beschrieb eine kühne Schleife in Richtung Brandenburger Tor und setzte mit einem Ruck wieder in der Gästewohnung auf.“

So bedeutungsschwanger läßt der Berliner Schriftsteller Peter Schneider in seinem neuen Roman „Eduards Heimkehr“ seinen Helden Eduard und dessen Frau Jenny eine ihrer wenigen Vereinigungen vollziehen. Schneider, zuerst bekannt geworden durch Erzählungen wie „Lenz“ und „Der Mauerspringer“, später als Verfasser von Spiegel-Besinnungsaufsätzen über die Wiedervereinigung, hatte schon in seinem 1992 erschienenen Roman „Paarungen“ deutsche Geschichte und deutschen Sex miteinander verdrahtet. „Paarungen“ erzählte die Geschichte dreier Männer in Berlin, noch vor dem Fall der Mauer. Die drei bekamen es nicht so richtig hin mit der Liebe, den Frauen und überhaupt, und wenn sie sich direkt vor der Mauer paarten, erlebten sie das als „politischen Kitsch“. Doch Kitsch hin, Kitsch her: Die Mauer in der Stadt, die Mauer zwischen Mann und Frau, das war ein zu naheliegendes Sujet, als daß sich ein alternder 68er wie Peter Schneider da nicht herzhaft bedienen wollte.

Mit „Eduards Heimkehr“ hat er jetzt eine Art Fortsetzung von „Paarungen“ geschrieben und den Biochemiker und orientierungslosen Casanova Eduard zu neuem Leben erweckt. „Halb im Zorn“ hatte dieser die Stadt verlassen, erfahren wir nun sieben Jahre später, und war einem Ruf an die Universität Stanford/Kalifornien gefolgt. Hier bekommt er die Nachricht von der Wiedervereinigung von seinen amerikanischen Kollegen zugesteckt („Congratulations!“), verspürt aber keinen Drang zurückzukehren. Erst ein Angebot des molekularbiologischen Instituts aus Berlin-Buch, eine Forschungsgruppe auf seinem Spezialgebiet „Verhaltenssteuernde Gene“ zu leiten, sowie die Nachricht, Erbe eines Mietshauses in der Rigaer Straße zu sein, veranlassen ihn, in das „vertraute, gleichzeitig wildfremde Ostberlin“ zu gehen.

Hier läßt Peter Schneider seinen Eduard dann auf über vierhundert Seiten einmal mehr erfahren, wie privat das Politische ist: „Ungläubig hatte sich Eduard gefragt, was ein welthistorisches Ereignis, dem zweifellos eine fette Überschrift in den Geschichtsbüchern gebührte, in seinem Eheleben zu suchen haben könnte. Schon den Gedanken an eine solche Möglichkeit hätte er bis dahin als politischen Kitsch abgetan.“ Doch was soll er machen? Jenny, Kind einer deutsch-jüdischen Mutter, steht nicht auf Berlin, sie hat Vorbehalte gegenüber dem neuen Deutschland. Und, am allerwichtigsten, sie hat keinen Orgasmus, wenn sie mit ihm schläft! Meint Eduard jedenfalls plötzlich herausgefunden zu haben. Da hilft auch der Segen der „grünschimmelnden Rosselenkerin auf dem Brandenburger Tor“ nichts. Eduard sinniert darüber, daß sie „ihm nicht gehörte, ihm vielleicht noch nie gehört hat, und er würde sie verlieren, wenn es ihm nicht gelang, ihr Geheimnis zu erraten“.

Das sind so Probleme, wenn man lange verheiratet ist. Da geraten Geschichte, berufliches Streben, die Weltläufte schon mal in den Hintergrund. War es erst der Mythos der „freien Liebe“, den Peter Schneider mit „Paarungen“ ordentlich durchschüttelte, so ist es jetzt der nicht zuletzt durch drei Kinder darniederliegende eheliche Verkehr, dem seine und Eduards Aufmerksamkeit gilt, das kleine, aber auch nicht zu verachtende bürgerliche Glück im Schatten großer historischer Ereignisse. Und darüber scheinen Eduard und auch sein Erfinder Peter Schneider ihre Lockerheit verloren zu haben. War „Paarungen“ noch mit leichter Hand geschrieben, humorvoll, souverän, so scheint Schneider jetzt doch ein wenig zu ächzen und zu schwitzen unter der Last, den großen Zeitenwenden-Roman schreiben zu müssen: Mit „Eduards Heimkehr“ versucht er, wirklich jedes Sandkörnchen im Getriebe des deutschen Wiedervereinigungsbestrebens aufzuspüren.

Da ist Eduards alter, ostdeutscher Schriftstellerfreund Theo, der jahrelang systematisch von seinem Bruder bespitzelt worden ist; da sind die westdeutschen Hausbesetzer in der Rigaer Straße im Osten, die Eduard mit Leuchtmunition und Schweinsköpfen empfangen; da sind die problematischen Besitzansprüche auf das Erbe, die Eduard sich zum ersten Mal sehr intensiv mit seiner Familiengeschichte auseinandersetzen lassen; da sind Eduards zwei ostdeutsche Kollegen in Buch, zwei sehr unterschiedliche Charaktere; da sind die Anzugmänner in Charlottenburg, da ist „Verhülltes, Verpacktes, Verschnürtes“, das Eduard überall in Berlin sieht, da sind die „großzylindrigen Autos“ auf den Trottoirs des Kollwitzplatzes, „und die Gäste, die ihnen entstiegen, schienen nicht zu merken, daß sie in der Fremde, in die sie aufgebrochen waren, nur noch ihresgleichen trafen“.

Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen. Schneider läßt wirklich nichts aus. Er müht sich zwar, Eduards Beobachtungen und zuweilen bizarren Erlebnissen Tiefe zu verleihen. Doch allzu vieles ist zuwenig verdichtet, erwartbar und klischeeverhaftet – auch der Neonazi fehlt nicht, der sich auf Eduards Anrufbeantworter für seinen „Kampf“ gegen die Hausbesetzer bedankt und Hilfe anbietet. So weiß man dann auch nie so richtig, was den guten Eduard treibt hinsichtlich seiner Rückkehr nach Berlin. Den Sprung von der Mauer, den er am Anfang des Buches in einem Traum nicht macht (Achtung: Symbolik!), den wird er wahrscheinlich nie tun. Am Ende fällt er wenigstens von seiner Dachgeschoßwohnung in Charlottenburg eine Etage tiefer auf den Balkon seiner Nachbarn – und danach auch mitten in einen Orgasmus seiner Frau. Gerrit Bartels

Peter Schneider: „Eduards Heimkehr“, Rowohlt Berlin, Berlin 1999, 408 Seiten, 45 DM

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