Vietnam hat die Amerikaner mißtrauisch gemacht

■ Der Kosovo-Konflikt berührt die gemeinsamen Traumata Europas und Amerikas: Völkermord und Krieg. Doch die Amerikaner haben in jüngerer Zeit schmerzliche Kriegserfahrungen gemacht. Militärexpe

Auf beiden Seiten des Atlantiks hat Kriegsführung eine andere Geschichte und das beeinflußt die Wahrnehmung von Krieg und die Bereitschaft zum Kriegführen. Für die US-Amerikaner spielen die eigenen Opfer eine überragende Rolle. „Die amerikanische Öffentlichkeit reagiert sehr sensibel auf mögliche eigene Verluste, sie sind das Schlimmste, was der politischen Führung passieren kann. Jeder Gefallene kann die Regierung die Unterstützung der Öffentlichkeit und des Kongresses kosten“, erklärt Michael O'Hanlon, Militärfachmann am Brookings Institut. „Europäer reagieren nicht so allergisch auf Verluste.“

Diese Haltung hat ihre Entsprechung auf dem Schlachtfeld, meint Fregattenkapitän Jörg Monte, deutscher Offizier, der zur Zeit an der Marine Academy in Annapolis unterrichtet: „Amerikaner sind bereit, ein ungeheures Potential an Waffen und Zerstörungskraft aufzufahren, ganze Hügel plattzuwalzen und Wälder zu entlauben, um möglichst eigene Verluste zu verhindern.“ In Europa wurde die sogenannte Auftragsstrategie entwickelt, bei der Kommandeure einen Auftrag erhalten, den sie mit begrenzten Mitteln, aber nach eigenem Gutdünken ausführen müssen.

„Europäische Offiziere sehen manchmal neidvoll auf die Militärmacht, die amerikanische Offiziere anfordern können, wenn sie auf Schwierigkeiten stoßen. Amerikanische Offiziere hingegen sehen manchmal neidvoll auf die Entscheidungsfreiheit der unteren Ränge in europäischen Armeen“, schildert Monte.

„Krieg wird heute in Europa als untaugliches Mittel der Politik gesehen“, lehrt Gregory Flynn, Direktor des Deutschen und Europäischen Studienprogramms an der Georgetown Universität in Washington. „Amerikaner haben den Krieg immer als operationelles Mittel gesehen, und Gewalt auf sehr verschiedene Weise und für sehr verschiedene Ziele eingesetzt. In Europa waren Nationalismus und Machtbalance zwischen rivalisierenden Mächten die Triebfeder des Kriegs.“ Amerikaner haben nie Kriege um Machtgleichgewicht geführt. Krieg war in Europa über Jahrhunderte Alltag und akzeptiertes Mittel der Politik. Auf dem amerikanischen Kontinent waren Kriege anders als in Europa nicht in erster Linie eine Sache der Eliten.

„Erst seit den beiden Weltkriegen erfaßten Kriege die ganze europäische Gesellschaft. Diese Entwicklung verwandelte das Denken über den Krieg“, erklärt Gregory Flynn. Kriege wurden in Europa just zu dem Zeitpunkt inakzeptabel, da Amerika zur Weltmacht aufstieg. Da tat sich eine Differenz zwischen den Kontinenten auf, eine Differenz, die durch die Abschreckungsstrategie des Kalten Krieges, die Krieg nicht einmal mehr als Ultima ratio denkbar erscheinen ließ, überdeckt wurde. Ein Amerika, das gewohnt war, über den legitimen Einsatz von Gewalt nachzudenken, verbündete sich mit einem Europa, in dem die Gewalt zum Tabu geworden war.

Die Einstellungen zum Krieg auf beiden Seiten des Atlantik werden auch von jüngsten Erfahrungen bestimmt. Amerika, das von Europa aus oft als gewaltbereit gesehen wird, hat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr und schmerzlichere Erfahrungen mit Kriegen gemacht als Europäer. Amerika hat in Korea, Vietnam, im Libanon und in Somalia den Preis für seine Rolle als Supermacht und für eigene Fehler bezahlt. Vor allem der Vietnamkrieg hat die amerikanische Öffentlichkeit gegenüber militärischen Einsätzen außerhalb Amerikas mißtrauisch gemacht.

Die Deutschen hingegen „haben bei ihren ersten Einsätzen nach dem Zweiten Weltkrieg in Somalia, Kambodscha und in Bosnien die Erfahrung gemacht, daß Militäraktionen auch ohne Verluste auf dem Schlachtfeld ausgehen können, das hat sie bereiter gemacht, auch deutsche Beteiligung an Kampfhandlungen zu akzeptieren“, vermutet Jörg Monte. „Die Deutschen leiden außerdem unter dem Trauma des Golfkrieges, in dem Deutschland abseits stand, als Deutschlands Freunde und Verbündete in den Krieg gegen einen Diktator und Aggressor zogen.“

So könnte die Bereitschaft, in einen Balkankrieg zu ziehen, heute in Europa und in Deutschland gar größer sein als in Amerika. „Gravierender aber als die Differenzen zwischen den Kontinenten sind die zwischen den Europäern selbst“, findet Gregory Flynn. „Jedes europäische Land bringt seine eigene Geschichte in diesen Krieg auf dem Balkan mit und seine eigenen Befürchtungen.“

Erstaunlich findet Flynn den Zusammenhalt der Nato – gerade angesichts der Tatsache, daß heute in Deutschland Grüne mitregieren. „Die Tauben von gestern sind die Falken von heute. Das liegt daran, daß die Tauben nie ganz nur Tauben und die Falken nie ganz Falken waren. Gemein ist beiden der Abscheu vor bestimmten Kriegen, zum Beispiel Krieg als Mittel nicht der Außen-, sondern der Innenpolitik. Das ist es, was Milošević' Krieg auszeichnet. In ihm fallen die gemeinsamen Traumata Europas und Amerikas zusammen: Krieg und Völkermord. Die Gegnerschaft gegen beides und gegen die Verbindung von beidem verbindet Europäer und Amerikaner.“ Peter Tautfest, Washington