Im Krieg stirbt als erstes die Wahrheit

Nachrichten vom Krieg oder Propaganda von Kriegsparteien? Aus dem Kosovo sind derzeit keine unabhängigen Informationen zu bekommen. Augenzeugenberichte, E-Mails, Briefe, Telefonate, die Stellungnahmen der Kriegsparteien oder der politischen Organisationen beider Seiten sind nicht durch unabhängige Quellen zu überprüfen. Dies sollten unsere Leser immer bedenken.

Auch die Nato streut ohne genaue Quellenangabe auf ihren Pressekonferenzen immer wieder offensichtlich ungeprüfte Informationen. So meldete das Bündnis am letzten Montag die „Hinrichtung“ albanischer Intellektueller wie des Rambouillet-Unterhändlers Fehmi Agani und des Zeitungsverlegers Baton Haxhiu. Am Mittwoch mußten diese Informationen aus US- und Kosovo-Kreisen wieder dementiert werden. Eine Meldung vom selben Tag, wonach eine große albanische Flüchtlingsmenge im Westen des Kosovo durch schwere Waffen der Serben unter Beschuß geriet, blieb bis gestern unbestätigt. Das heißt nicht, daß sie nicht stimmen kann. Allein, es fehlen die Belege.

Beiden Seiten sind an einer Beeinflussung der Öffentlichkeit in ihrem Sinn interessiert. Denken Sie daran. Wir versuchen, in unseren Artikeln die Quellenangaben so deutlich wie möglich zu machen.

Zur Wertung und Auswertung von Augenzeugenberichten erklärte ein Vertreter der unabhängigen Human Rights Watch dem britischen Rundfunksender BBC: Die Organisation befragt individuell eine große Anzahl von Flüchtlingen aus dem Kosovo, wenn sie die Grenze überschritten haben. Wenn viele Flüchtlinge, die unabhängig voneinander die Grenze überschreiten und von verschiedenen Personen befragt werden, dieselben Schilderungen eines einzigen Ereignisses geben, hält Human Rights Watch den Wahrheitsgehalt für sehr hoch und schließt Absprachen unter den Vetriebenen aus.

Danach schätzt die Menschenrechtsorganisation die Lage im Kosovo so ein: Es gibt eindeutig planmäßige ethnische Vertreibung. Ganze Landstriche und Städte werden entvölkert. Das Muster sei immer dasselbe: Die Menschen werden von serbischen Einheiten mit Waffengewalt zusammengetrieben und dann in Zügen, auf Lastwagen oder auch zu Fuß Richtung Grenze geschafft. Es kommt dabei zu einzelnen Morden, und es gibt auch Hinweise auf größere Mordaktionen. Sie reichten jedoch nicht aus, um von „Massakern“ als Tatsache zu sprechen. Hinweise auf Selektion zum Beispiel junger Männer aus den Flüchtlingsmassen gebe es zwar, aber sie seien zu schwach, um dies als ständige Übung bei Vertreibungen einschätzen zu können. Ein Völkermord sei zwar zu befürchten, man könne jedoch nach den vorliegenden Informationen bisher nicht von einem solchen sprechen.

Die Politik nimmt es da offenbar nicht so genau: Bundesverteidigungsminister Scharping hatte in dieser Woche Jugoslawiens Präsident Milošević vorgehalten, im Kosovo einen Völkermord zu begehen.ci