Japan zwischen Stagnation und Aufschwung

Erstmals seit knapp zwei Jahren schätzen Japans Unternehmer die wirtschaftlichen Aussichten wieder etwas positiver ein. Ob der Tiefpunkt jetzt überschritten ist, kann aber noch niemand sagen  ■   Aus Tokio André Kunz

Hat die langersehnte Trendwende im rezessionsgeplagten Japan gerade begonnen, oder brennt wieder nur ein Strohfeuer? Diese Frage bewegt die Wirtschaftsexperten in Tokio, seit die Notenbank am Montag den vierteljährlichen Konjunkturbericht (Tankan) vorgelegt hat. Danach hatte der Schlüsselindex einen leichten Aufwärtstrend. Der Index für das verarbeitende Gewerbe legte seit der letzten Umfrage im Dezember um zwei Punkte auf jetzt noch minus 47 zu.

„Das Ergebnis zeigt, daß das Vertrauen in den Aufschwung noch sehr gering ist“, sagte Peter Morgan, Volkswirt von HSBC Securities in Tokio. Noch seien die Pessimisten in der Mehrheit – auf 100 Optimisten kommen laut der Umfrage 147 Pessimisten. Regierungs- und Zentralbankvertreter äußerten sich zunächst zurückhaltend. „Der Tankan zeichnet zwar ein freundlicheres Bild, aber wir müssen noch vorsichtig sein“, sagte Regierungssprecher Hiromu Nonaka. Die bereits angekündigten Entlassungen und Kostensenkungsmaßnahmen der japanischen Unternehmen könnten das Wachstum im laufenden Jahr negativ beeinflussen. Dann wäre fraglich, ob das von der Regierung angestrebte BIP-Wachstum um 0,5 Prozent erreicht werden kann.

Die Unsicherheit spiegelte sich auch am Aktienmarkt. Der Nikkei-Index lag am Montag bei 16.334,78 Zählern, nur 0,27 Prozent höher als am Freitag. Am Dienstag verfestigte sich der vorsichtige Aufwärtstrend nach einer Erklärung von Finanzminister Kiichi Miyazawa, daß die Wirtschaft „das Schlimmste hinter sich“ habe. Bei Börsenschluß notierte der Nikkei-Index wiederum um 0,9 Prozent höher bei 16.479,71 Punkten – immerhin der höchste Stand in diesem Jahr.

Ein Sprecher der Bank von Japan erklärte, der Tankan biete noch keine ausreichende Datengrundlage, um beurteilen zu können, ob die Wirtschaft ihren Tiefpunkt erreicht habe. Andere Indikatoren, die am gleichen Tag vom staatlichen Wirtschaftsplanungsamt (EPA) veröffentlicht wurden, zeichneten ein weiterhin trübes Bild. So fiel der Konsum in Privathaushalten im Februar um 3,8 Prozent, nachdem er im Januar erstmals nach mehr als einem Jahr um 1,4 Prozent zugelegt hatte. Für den März erwartet die EPA aber positivere Zahlen.

„Japan befindet sich auf der Schwelle zwischen Stagnation und sehr langsamem Aufschwung“, sagt Chris Calderwood, Chefökonom vom Wertpapierhaus Jardine Fleming in Tokio. Die Zusatzausgaben der öffentlichen Hand in Höhe von 24 Billionen Yen zeigen vor allem auf dem Land und in den Vororten von Tokio erste Wirkungen. Baukräne schießen wie Bambussprossen aus dem Boden. Auch die Autoindustrie meldete höhere Umsätze von Klein- und modischen Freizeitwagen.

Andererseits drohen die Pläne der großen Konzerne, Zehntausende Beschäftigte zu entlassen, die Stimmung ohnehin wieder zu vermiesen. „Diese Maßnahmen haben einen äußerst negativen Einfluß, weil alle Konzerne zur gleichen Zeit das gleiche tun“, sagt Ökonom Calderwood. Allein im letzten Monat haben vier große Elektronikkonzerne die Streichung von insgesamt rund 40.000 Stellen angekündigt.

Obwohl der Stellenabbau gemessen an europäischen Verhältnissen sanft vorangetrieben wird, sind die Personalkürzungen ein Schock für japanische Arbeitnehmer, die bis vor kurzem die lebenslange Stelle und die Lohnerhöhung nach Dienstalter als garantiert betrachteten. Im Februar zählte Japan erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als drei Millionen Arbeitslose, und die Regierung geht davon aus, daß die Arbeitslosenrate schon Mitte dieses Jahres von derzeit 4,6 Prozent auf 5,2 Prozent klettern könnte.

Erwartungsgemäß belohnten die vorwiegend ausländischen Investoren an der japanischen Aktienbörse die Unternehmen, die aggressive Kostensenkungspläne nach US-amerikanischer Art präsentierten. Sony und Mitsubishi Electric verzeichneten zweistellige Gewinne auf ihren Aktien, sobald sie ihre Pläne veröffentlicht hatten. Nach Ansicht vieler Aktienhändler stehen genau diese Restrukturierungspläne der Großkonzerne hinter dem Börsenrally in Tokio und nicht die zaghafte Konjunkturaufhellung.

Die Arbeitslosenzahlen und die Massenentlassungspläne der großen Konzerne drohen die Stimmung wieder zu vermiesen