"Er paktiert mit Milosevic"

■ Der serbische Regimekritiker Dragomir Olujic über Albanerführer Ibrahim Rugova, die Auswirkungen der Nato-Angriffe auf Jugoslawien und mögliche Szenarien für das Kosovo

taz: Belgrad liegt unter Bomben. Wie kommt man da klar?

Dragomir Olujić: Da muß noch einiges mehr vom Himmel fallen, bis wir von einer Luftschlacht sprechen können.

Ist das Ihr Galgenhumor zu den Nato-Bomben?

Ich meine das wirklich so. Was die Nato veranstaltet, das sind Nadelstiche, um unseren Kriegsherren zu zeigen: So dürft ihr nicht weitermachen. Ich bin kein Militärexperte, aber nach dem, was ich von Leuten höre, die sich in Militärfragen auskennen, ist das noch kein ernsthaftes Kriegsspiel.

Spüren Sie nichts von Krieg?

Wenn es nur wieder Zigaretten gäbe. Für Raucher sind schwere Zeiten angebrochen. Seit Tagen gibt es keine Zigaretten mehr in den Geschäften. Und es mangelt an Brot, Milch, überhaupt an Lebensmitteln. Wer keine Verwandten auf dem Lande hat, der kommt kaum über die Runden. Meine Kinder habe ich auch schon zu den Großeltern geschickt. Das ist bedrohlich, denn keiner weiß, wie schlimm es noch kommen wird. Aber all das hilft dem Regime, und ich bin mir gar nicht sicher, ob die Versorgungsengpässe nicht bewußt erzeugt werden, um die Anti- Europa-Hysterie zu rechtfertigen, mit denen uns die Medien „bombardieren“.

Das klingt so, als glaubten Sie, Präsident Milošević und seine Clique würden die Nato-Angriffe unbehelligt aussitzen können?

Mehr noch, sie profitieren davon, denen geht es von Tag zu Tag besser. Milošević kann sich glücklich schätzen, das Volk ist geschlossener denn je hinter ihm, die Albaner suchen das Weite, und der Westen wird irgendwann einknicken und die Nadelstiche seinlassen.

Also alles Bluff?

Bitte ernsthaft: Milošević erreicht sein Ziel eines ethnisch reinen Kosovo für die Serben. Die Politiker in Washington, Brüssel und Bonn wissen doch, daß eine Befriedung des Kosovo nur in Zusammenarbeit mit Milošević möglich sein wird. Alles andere ist Illusion. Deshalb wird es irgendwann eine große Balkan-Konferenz geben. Dort werden entweder neue Grenzen abgesteckt, oder es wird bei den alten Grenzen bleiben, aber mit veränderten Bevölkerungsstrukturen.

Was bedeutet das für das Kosovo?

Es werden dort weniger Albaner leben als vor Ausbruch des Konflikts. Zwei Szenarien sehe ich. Entweder kommt es zur Zweiteilung in einen nördlichen serbischen Teil und einen südlichen albanischen Teil. Aber beide Teile werden ethnisch fast homogen sein, genau so wie das heutige Bosnien. In der Serbischen Republik Bosniens leben doch auch keine Bosnier und Kroaten mehr. Oder es wird dazu kommen, daß Kosovo ganz an Serbien fallen wird, aber fast ohne Albaner, oder dem Gebiet wird grünes Licht für einen Anschluß an Albanien gegeben. Das ist aber die unwahrscheinlichste Variante, denn niemand in Europa wünscht sich ein Großalbanien. Aber bitte fragen Sie doch Ibrahim Rugova, der weiß mehr.

Gerade um den Albanerführer Rugova ranken sich Mythen. Zu Anfang der Nato-Angriffe hieß es, er sei verschwunden, dann gab es Meldungen über seine Ermordung, dann tauchte er bei Milošević auf, worauf seine Partei erklärte, das sei unter Zwang geschehen, Rugova sei erpreßt worden...

So ist das im Krieg, alle Seiten basteln sich ihre Mythen. Ich glaube daran nicht. Rugova ist freiwillig zu Milošević gegangen. Rugova war nie ein Kämpfer, er war immer ein Balkanfürst, dem es genauso wie Milošević um seinen Machterhalt geht. Bis zu den französischen Friedenskonferenzen war Rugova der sogenannte Albaner-Präsident von Kosovo. Auf der Konferenz wurde er von der albanischen Befreiungsarmee UÇK ins Abseits gedrängt. UÇK-Sprecher Thaci erklärte sich zum Albaner-Führer. Was blieb Rugova anderes übrig, als mit Milošević zu paktieren?

Damit verliert er doch das Vertrauen unter seinen Landsleuten, die sehen ihn als Verräter.

Viele Albaner sehen in ihm schon lange einen Verräter. Denn als der Krieg in Kroatien und Bosnien tobte, gab Rugova die Devise aus, „Albaner, bleibt ruhig, mischt euch nicht ein“. Das Resultat dieser Politik sehen wir heute. Rugova hat nur unter jenen Albanern noch Anhänger, die der militanten Politik der UÇK mißtrauen, weil sie das Gefühl haben, mit den Mitteln des bewaffneten Kampfes wird sich nur noch alles verschlimmern.

Ist diese Angst begründet?

Ich halte diese Angst für real. Es ist keineswegs sicher, daß der Westen die UÇK politisch unterstützt, militärisch schon gar nicht. Die meisten Albaner hoffen auf die UÇK. Doch was passiert, wenn die Nato-Staaten die UÇK auflaufen lassen, wenn sie von Miloševićs Bodentruppen total überrannt wird? Es gibt doch zu denken, daß die Nato noch keinen einzigen serbischen Panzerkonvoi im Kosovo angegriffen hat. Noch sehe ich kein Zeichen, daß Miloševićs Tage gezählt sind – leider. Interview: Karl Gersuny