Kommentar
: Gedenkwettkampf

■ Die Orte der Erinnerung brauchen ein Konzept

Die Protagonisten der Erinnerungskultur könnten sich gegenseitig beglückwünschen. Obwohl die hiesige Politik lange Zeit keine hohe Meinung von den „störenden Gedenkstätten“ im hauptstädtischen Stadtgrundriß hatte, sind diese heute Realität. Die Wannsee-Villa existiert. Das Jüdische Museum beginnt sich einzurichten. Die „Topographie des Terrors“ steht im Rohbau auf dem Gelände der einstigen Gestapo-Zentrale. Und wenn der Bundestag im Juni grünes Licht für das geplante Holocaust-Mahnmal samt einem „Haus der Erinnerung“ gibt, wäre die Berliner Denkmallandschaft mit beispielhaften Institutionen zum Gedenken an jüdisches Leben und Sterben sowie den Terror des Nazi-Regimes bestückt.

Daß sich dennoch keine Euphorie bei den Museumsmachern einstellt, liegt auf der Hand. Weil im Kampf um das eigene Konzept sich jeder selbst der Nächste war, zeichnen sich nun die Konkurrenzen um Exponate und Programme deutlicher ab als die Besonderheiten der Häuser. Funktionen und Nutzen überschneiden sich zum Teil. Beim Wettlauf etwa um das Spielberg-Projekt stehen gleich alle Institutionen an. Und zudem droht, daß eine zentrale Gedenk- und Dokumentationsstätte am Holocaust-Mahnmal die anderen Einrichtungen erdrückt. Noch mehr Gegen- als Miteinander wäre die Folge.

Damit die Orte der Erinnerung sich nicht im Gedenkwettkampf verlieren, ist Klarsicht statt blinde Sammelwut gefordert. Vor den Konzepten für das eigene Haus muß jetzt ein gemeinsames Programm den Diskurs bestimmen. Wofür steht das Museum, welche Erinnerung soll reflektiert werden, und an welchem historischen Ort läßt sich die spezifische Geschichte erzählen, lauten die Fragen, auf die es ankommt. Das Jüdische Museum hat dabei den schwierigsten Part, verweigert sich doch die symbolische Architektur dem idealen Anspruch, alles berichten zu wollen. Gerade hier braucht es ein less is more, das dem Haus und seinem Konzept genügend Raum läßt, sich zu entfalten. Es vollzupacken, nur um der Vollständigkeit willen, käme einem Offenbarungseid gleich. Denn die jüdische Geschichte selbst ist voller Brüche. Rolf Lautenschläger

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