Zucker unter dem Vulkan

Manchmal spuckt der Vulkan Kanlaon auf der philippinischen Insel Negros noch. Zuckerrohrplantagen ziehen sich von der Küste bis zu seinen Rändern. Das milde Klima lockt immer noch Langnasen  ■ Von Albrecht G. Schaefer

Schwefelschwaden hüllen mich ein. Hustend schlurfe ich auf den Krater zu. Artemio, mein philippinischer Begleiter, läßt mir den Vortritt, warnt noch einmal vor der brüchigen Kante über dem Schlund, aus dem es in 300 Metern Tiefe unheimlich brummelt. Schließlich kennt er den Vulkan von allen Seiten, seit Jahren besteigt er ihn. Mit dem Kanlaon, dem höchsten Berg der philippinischen Visayas-Inseln, kann man sich anfreunden, meint er. Auch wenn er hin und wieder poltert.

Der Legende nach lebte einst ein siebenköpfiges Ungeheuer hier oben. In seiner Gier nach Menschenfleisch terrorisierte es die Bewohner von Negros. Da erbarmte sich ihrer der Gott Khan La-on und tötete den Drachen.

Der Blick vom 2.465 Meter hohen „Dach der Visayas“ ist grandios. Im Nordwesten erkenne ich meine ehemalige Heimat, die Inseln Guimaras und Panay. Im Osten schimmert Cebu. Endlich habe ich wahrgemacht, was ich mir vor Jahren, als ich im Süden von Panay lebte, geschworen hatte: einmal von „unserem Vulkan“ hinabzuschauen.

Die Beziehung zum Kanlaon war entstanden, weil wir auf die Tanten meiner Frau gehört hatten und den Vulkan unserer neugeborenen Tochter oft am frühen Morgen vorführten. Die kühle Luft und der Anblick des Vulkans sollen, so der Rat der Alten, Leib und Seele kräftigen. Auch die ansässigen Vulkanologen hegen zu dem Berg ein fast familiäres, wenn auch argwöhnisches Verhältnis. Sie konzentrieren sich auf den aktiven der beiden Krater. Allein zwischen 1978 und 1997 hat der zwölfmal Schwefel und Asche gespuckt.

Artemio drängt zur Rückkehr. Dichte Wolken bilden sich um den Gipfel herum. Mich fröstelt, auch weil ich an den Australier denken muß, dessen Skelett man vor ein paar Jahren aus einer Schlucht geborgen hatte. Lange nachdem er bei schlechtem Wetter und ohne Führer in den Berg gestiegen war.

Ich kratze Asche zusammen. Für meine Tochter. Als Andenken von Negros sollte ich auch ein Stück Zuckerrohr mitbringen. Stellvertretend für das Wahrzeichen von Negros. Vom flachen Küstenstreifen bis hoch zu den Lavahängen erstrecken sich die Plantagenfelder, bedecken über die Hälfte der mit 12.700 Quadratkilometern viertgrößten philippinischen Insel.

Doch für die Menschen auf Negros ist Zucker nicht nur der süße Stoff, der Energie und Freude spendet. Im 16. Jahrhundert von spanischen Padres eingeführt, verbindet er seit 140 Jahren als Industrieprodukt schicksalhaft die Mehrheit der rund 2,5 Millionen Bewohner in bitterer Armut. „Das Kuba Südostasiens“ nannten sie Negros. Warnend meinten es die reichen Zuckerbarone, um dann noch mehr Militär herbeizurufen; verheißungsvoll sagten es die linken New-People's-Army-Rebellen, mit denen nicht nur die Sacadas, die rechtlosen Erntearbeiter, sondern auch Kirchenleute sympathisierten.

Beim Abstieg vom Kanlaon weht der Wind beißenden Qualm von den Zuckerfeldern heran. Es ist Erntezeit. Vor dem Schlagen der Halme fackeln die Arbeiter das dichte Blattwerk ab, um sich Platz zu schaffen und Giftschlangen zu vertreiben. Weiter unten am Hang reichen uns Bauern frisches Trinkwasser. Sie staunen, daß wir an einem Tag zum Gipfel und zurück marschiert sind. Ob wir den „nice people“ begegnet seien, will einer wissen. Artemio schüttelt den Kopf und flüstert mir zu, daß mit „nette Leute“ die New-People's-Army-Kämpfer gemeint sind.

In die Brandluft mischt sich das schwere, säuerliche Aroma von Melasse. Ein vertrauter Geruch, seit ich ein paar Tage zuvor die Zuckerfabrik von Vicmico, die Victorias Milling Company, im Norden von Negros besucht habe. Die landesweit größte Zuckerraffinerie ist eine der wenigen Mühlen, die die jahrzehntelange Wirtschaftsmisere überlebt haben.

Die von weiten Zuckerrohrfeldern umgebene Fabrik bietet besonders Technikfreaks ein „Bonbon“: Auf „Eisernen Dinosauriern“, uralten Dampflokomotiven, können sie über einige der firmeneigenen 350 Schienenkilometer zuckeln. Noch eine Überraschung auf dem Vicmico-Gelände: Inmitten des Zischens und Lärmens der Rohre und Kessel zwingt ein Altargemälde in der St.-Joseph-Kapelle zu Nachdenklichkeit. Ein in flammenden Farben dargestellter Gottessohn fordert die Betrachter heraus, seine grimmigen Gesichtszüge zu deuten. Ist es die Wut über die Hungerlöhne, oder ärgert sich „Angry Christ“ mit den Zuckerbossen über die schlechte Absatzlage? Auf jeden Fall ist er ein erfrischender Kontrast zu den kitschigen Jesusköpfen, die in dem vorwiegend katholischen Land sonst verehrt werden.

An die „gute, alte Zeit“ zwischen 1860 und 1970, als philippinischer Zucker noch in alle Welt verschifft wurde, erinnern vor allem die Balay Negrense, Villen im Kolonialstil, von denen allein 80 im Städtchen Silay, etwas südlich von Victorias, erhalten sind. Wie die Residenz der Familie Gaston, die, nun Museum, etwas von der Aura des Pflanzerluxus verströmt.

Namen wie Araneta, Diez, Lac- son, Locsin und Lizares stehen bis heute für die einflußreichen Insel- Dynastien. Mal konspiriert und heiratet man untereinander, mal schickt man sich gegenseitig die Leibwächter auf den Hals, um die Pfründen zu behaupten. Die Metropole im „Sugarland“ ist mit rund 400.000 Einwohnern Bacolod City in der Provinz Negros Occidental.

„Hey Joe, how are you, where are you going!?“ Alt und Jung rufen den Fremden an, wie landauf, landab Weiße salopp gegrüßt werden. Man und frau gewöhnt sich dran – die an die spanische Herrschaft anschließende über 90jährige US-Präsenz wirkt eben nach: „Joe“, ob männlich oder weiblich, muß aus den Staaten kommen.

Ganz spanisch dagegen präsentiert sich die Plaza. Rundherum sind die Schaltstellen der Macht angesiedelt. Da ist die San-Sebastian-Kathedrale, in der lange Jahre Bischof Fortich mutig gegen den Terror der Marcos-Diktatur predigte. Stets vom Mißtrauen und gelegentlich sogar gewalttätigen Drohungen der nahen Polizeibehörde begleitet. Die Medien dürfen nicht fehlen, Fernseh- und Radiostation senden von hier über die Insel. Außerdem unterhält das Bacolod Press Center ein Büro, eine Art Kooperative von Journalisten, die Lokalpolitiker und Großgrundbesitzer kritisch beäugen und sich deswegen oft selbst in Gefahr bringen. Nicht weit entfernt, auf einer dem Meer abgerungenen Landfläche wächst heran, was „Philippines 2000“, das hochgesteckte Wirtschaftsprogramm der Ramos-Regierung verkörpern soll: die „Stadt der Zukunft“ mit Fastfoodtempeln, Hotels und Shoppingcentern.

Vor rund 430 Jahren sind die ersten Langnasen aus Europa gelandet. Bacolod, so steht es in den Annalen, soll entstanden sein, als der Konquistador de Rodriguez 1565 auf dem Hügel Buklod eine Kirche hatte bauen lassen. Die Insel selbst wurde für die Spanier zu Negros, abgeleitet von den Negritos, den dunkelhäutigen, kraushaarigen Ureinwohnern.

Von San Carlos an der Ostküste aus bringt mich ein motorisiertes Auslegerboot nach Refugio Island, einem vorgelagerten Koralleninselchen, das seinem Namen zumindest außerhalb von Wochenenden und Ferienzeit voll gerecht wird. Über stille Wanderwege gelange ich zu einem verträumten Fischerdorf. Hoch über dem Strand vermietet ein deutsch-philippinisches Paar karge Zimmer. Die korpulente Kioskbesitzerin am Bootsanleger fragt später keck, ob ich sie nicht heiraten wolle. Dann könnten wir ihre Verbindungen mit meinem Vermögen – Touristen sind nun einmal reich – kombinieren und ein richtiges Hotel auf die Insel setzen. Da lacht auch ihre alte, zahnlose Mutter herzhaft und schenkt mir noch ein Glas ihres süffigen Kokospalmweines ein.

Wie ein Stammtisch mutet die kleine Gruppe von Europäern an, der ich in einer der Kneipen von Dumaguete über den Weg laufe. Jeder hat andere Gründe, in der beschaulichen Hauptstadt von Negros Oriental zu sein: Urlaub, Familie, Geschäfte. Sogar das Rheuma kann schuld sein, wie im Fall des alten Jan aus Oslo. Das Gliederreißen habe er sich wohl auf der anderen Inselseite gefangen, 1982 in Hinoba-an, als er mit 20.000 anderen Glücksrittern im Schlamm nach Gold gewühlt hat. Ein paar Karat waren für ihn drin gewesen. Jetzt lebt der Ex-Seemann von seiner Rente. Zwölf Monate im Jahr im Süden von Negros, weil das Klima – in jeder Beziehung – viel besser sei als zu Hause.

Rudi aus dem Ruhrpott verbringt hier schon die zweiten Ferien. Wie gehabt, nur einen Tag in Manila zum Eingewöhnen, zwanzig auf Negros. Sogar Tauchen hat Rudi gelernt und wie man beim Hahnenkampf wettet.

Dumaguete, seit 1901 Sitz der einzigen protestantischen Universität des Landes, gibt sich gelassen und charmant: unaufdringlich freundliche Leute, gepflegte Straßen, saubere Badestrände mit Lava-Sand und ein abenteuerliches Hinterland mit Bergdschungel und Kraterseen. Unter Wasser leuchten Korallenschätze; die der beiden Inselchen Apo und Sumilon besonders prächtig, weil sie unter Naturschutz gestellt wurden.

Mit Blick zum Meer habe ich mich an der Uferpromenade einquartiert. Weil dort die Nachbarinseln am Horizont locken. Doch in Dumaguete auf Negros, so fürchte ich, könnte ich hängenbleiben.