Nato-Luftkrieg kommt Bulgarien teuer zu stehen

■ Sofia rechnet mit immensen Verlusten in der Wirtschaft. Haupttransportwege sind blockiert

„Steuererhöhungen wegen der Kriegsverluste“ – mit diesem Szenario schreckte die große bulgarische Tageszeitung Trud ihre Leser am Donnerstag. Die Bulgaren, berichtete das oppositionelle, gewerkschaftsnahe Blatt, müßten demnächst so für die Verluste bezahlen, die die bulgarische Wirtschaft seit dem Beginn des Nato- Bombardements auf Jugoslawien erlitten hat.

Ob das Blatt mit seiner populistischen Titelgeschichte recht behält, ist fraglich. Fest steht jedoch, daß Bulgarien wirtschaftlich eines der am meisten betroffenen Länder vom Luftkrieg gegen Jugoslawien ist. Seine Haupttransportwege zu Wasser, zu Land und in der Luft sind blockiert. Bulgarische Transportunternehmen haben deshalb bereits seit Beginn der Bombardements deutliche Verluste hinnehmen müssen. „Wir sind fast wieder in einer Lage wie zur Zeit des Handelsembargos gegen Jugoslawien von 1992 bis 1995“, sagte der bulgarische Regierungschef Iwan Kostow vor zehn Tagen.

Die gesamte Schadenssumme wird für die ersten zehn Tage der Nato-Angriffe auf rund 15 Millionen Mark geschätzt. Davon tragen Speditionen mit 13 Millionen Mark den größten Anteil. Sie müssen derzeit den kosten- und zeitaufwendigeren Umweg über Rumänien und Ungarn nehmen, um ihre Waren nach Westeuropa zu transportieren. Auch Binnenschiffahrtsunternehmen und Fluggesellschaften sind betroffen. Serbische Behörden halten mehrere Dutzend Schiffe auf der Donau fest. Zudem ist der Wasserweg wegen zerstörter Brücken nicht mehr benutzbar. Die bulgarischen Binnenreedereien erwarten in den nächsten Tagen und Wochen sprunghaft steigende Verluste. Auch die Fluggesellschaft Balkan- Airlines mußte den zivilen Flugverkehr auf einigen Routen einstellen und auf anderen Umwege fliegen. Immerhin kann sie ihre Verluste dadurch ausgleichen, daß sie für Hilfstransporte Chartermaschinen zur Verfügung stellt.

Die Angriffe auf Jugoslawien haben auch den bulgarischen Aktienmarkt erschüttert. In der letzten Woche ging der Wertpapierhandel wegen geringen ausländischen Interesses um zehn Prozent zurück. Sollte sich der Krieg hinziehen, könnten ausländische Investoren beginnen, ihre Anteile an bulgarischen Unternehmen zu verkaufen und einen Einbruch des Aktienmarktes auslösen.

Die bulgarische Industrie hat bislang noch keine Verluste verzeichnet, wie der Industrieminister Alexander Boschkow sagte. Wenn der Krieg länger dauere, so Boschkow, werde sich dies aber ändern. Bulgarische Unternehmen würden dann ihre ausländischen Kunden verlieren, die Verluste könnten mehrere hundert Millionen Mark monatlich erreichen, wie bulgarische Experten vorrechnen. Erschwerend kommt für das Land hinzu, daß in diesem Jahr fast zwei Drittel seiner Exporte nach Westeuropa gehen, also die Länder, zu denen die Transportwege blockiert sind. Auch der für Bulgarien wichtige Schwarzmeer-Tourismus könnte in diesem Jahr wegen ausbleibender Kunden einbrechen.

Schon in den Jahren 1990 bis 1995, während der Uno-Embargos gegen den Irak und Jugoslawien, hat Bulgarien große Wirtschaftsverluste hinnehmen müssen, die es auf mehr als zehn Milliarden Mark beziffert. Die geforderten Entschädigungen blieben aus.

Mit einem Krisenplan will die bulgarische Regierung nun weiteren Verlusten vorbeugen. Eine zentrale Behörde soll Firmen bei Transportproblemen und der Umstellung auf andere Märkte helfen. Bulgarien drängt außerdem auf den umstrittenen Bau einer weiteren Donaubrücke zu Rumänien. Der Streit um den Bau zieht sich seit Jahren hin, weil Bulgarien die Brücke bei Vidin und Calafat im Westteil der beiden Länder errichten möchte, Rumänien dagegen im Osten, am Unterlauf der Donau. Keno Verseck, Bukarest