Belgrads Intellektuelle rätseln über die Hintermänner des Attentates

■ Mit Slavko Curuvija wurde einer der bedeutendsten Journalisten in Jugoslawien ermordet. Regimetreue Medien hatten ihn zuvor attackiert

Wien (taz) – Slavko Curuvija ist tot. Er war einer der großen Journalisten des ehemaligen Jugoslawien. Am Sonntag wurde der Belgrader bei einem Stadtspazierung auf offener Straße ermordet. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin Branka Prpa haben sich ihnen zwei schwarz maskierte Männer in einer Fußgängerunterführung genähert und ohne Vorwarnung die Pistolen gezogen. Dann wurde geschossen, Curuvija brach tödlich getroffen zusammen. Die Unbekannten entkamen unbemerkt.

Wer hinter dem Attentat steht, darüber rätseln die Intellektuellen Belgrads. Fast alle sind geschockt und fragen sich: Wer könnte der nächste sein, der von unbekannter Hand ermordet wird? Denn nur sechs Tage vor dem Mord attackierte die regimetreue Tageszeitung Politika Ekspres den Verleger und Journalisten Curuvija als einen, der durch seine Artikel über die angeblich albanische Tragödie im Kosovo „die Nato zur satanischen Konfrontation“ herausgefordert habe. Der Artikel endete mit den Worten: „Menschen wie er werden sich verantworten müssen, wir werden ihnen nicht vergeben, wir werden sie nicht vergessen.“

Curuvija hatte eine bewegte Vergangenheit. Sein erster Beruf war Polizist. Welche Funktion er genau ausübte, ist bis heute unbekannt. Fest steht, daß er im Alter von 27 Jahren den Job wechselte und sich als Schreiberling von Gerichtsreportagen und Kriminalfällen einen Namen machte. Curuvijas Stil kam bei den Lesern an. Die psychologische Aufarbeitung der Fälle war für die damaligen jugoslawischen Verhältnisse eine Neuheit. Das machte den Ex-Polizisten so beliebt.

Nach der allgemeinen politischen Wende im Osten Europas nütze Curuvija nach 1990 seine Popularität und seine weitverzweigten Kontakte, er gründete eine eigene Zeitung, den Nedeljni Telegraf. Dieses Wochenblatt machte sich vor allem mit seinen Skandalen einen Namen, mit Berichten über das Innenleben der Macht. Der Telegraf war nicht gerade ein seriöses Blatt. Doch man mußte es lesen, um an Nachrichten zu gelangen, die man sonst nirgends las. Zuletzt enthüllten der Nedeljni Telegrafund sein Schwester-Blatt, der täglich erscheindende Dnevni Telegraf, Spannungen innerhalb der Armee. Diesen Berichten zufolge war ein Teil des Generalstabs schon seit Monaten gegen die Konfrontation des Milošević-Regimes mit der Nato. Berichte über den anstehenden Rücktritt des Generalstabschef Perisić vom vergangenen Sommer bewahrheiteten sich Ende November. Damals hatte Curuvija prophezeit: Mit dem Rückzug von Perisic verliert Serbien seine Zukunft.

Wer alles in Curuvija einen unbequemen Zeitzeugen sah, der beseitigt werden müsse, darüber läßt sich derzeit nur spekulieren. Karl Gersuny