„Pop ist tödlich“

■ Thomas Ostermeier über Pop, das Theater der Grausamkeit und „Feuergesicht“ im Malersaal

Er hat das bekommen, wovon viele seiner jungen Theaterkollegen kaum zu träumen wagen: ein eigenes Theater. Mit dem Beginn der Spielzeit '99 wird der Regisseur Thomas Ostermeier Intendant der Berliner Schaubühne. Inszenierungen wie Shoppen und Ficken oder Disco Pigs haben den 30jährigen, der sein neues „Theater der Grausamkeit“ schafft, zum Popstar der deutschen Theaterlandschaft gemacht. Zur Zeit inszeniert er im Malersaal Feuergesicht, ein mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichnetes Stück des jungen Dramatikers Marius von Mayenburg.

taz hamburg: Wie fühlt man sich als Popstar?

Thomas Ostermeier: Bin ich das?

Sie werden so behandelt. Wären Sie gern einer?

Wer wäre das nicht gerne!

Geht Pop und Theater überhaupt zusammen?

Nein. Pop ist tödlich fürs Theater.

Weshalb?

Pop vernichtet den Menschen. Popstar ist man ja nur für eine kurze Zeit. Das Ganze orientiert sich schließlich am Konsumverhalten und gehorcht seinen eigenen Mechanismen.

Zur Zeit inszenieren Sie mit „Feuergesicht“ ein Drama über die Abgründe einer Familie. Was interessiert Sie an der Darstellung dieses Mikrokosmos?

An diesem Stück wird deutlich, daß zeitgenössische Dramen ein allgemeines Verständnis von Erfahrung wiedergeben, eben authentisch sein können.

Was bedeutet „Authentizität“ im Theater?

Mir macht es momentan Spaß, wenn ich auf der Bühne Menschen sehe, die etwas tun, wovon ich sagen kann: „Oh ja, genau so ist es, oh wie furchtbar!“ Das sind Momente, die ich im Theater fast nie erlebe. Ich sehe nie die Verbindung mit dem, was ich draußen erlebe. Das sind diese Ausschnitte von Wirklichkeit, Momente, in denen man entsetzt oder verstört zusehen muß, das daß, was auf der Bühne passiert, einem vertraut ist. In Feuergesicht geht es ja nicht nur um das nette Familienleben, sondern um Inzest und Mord.

Setzen Sie dabei auf Identifika-tion?

Nicht nur. Der Zuschauer kann sich vielleicht für einen Augenblick mit dem Geschehen identifizieren. Dann kommt plötzlich der Punkt, an dem er sich mit dieser Rolle nicht mehr wohlfühlt, sich möglicherweise fürchtet.

Die Methode, mit der Sie arbeiten, ist traditionell. Der Schauspieler fühlt sich in die Rolle ein.

Ja, bisher hat mich noch keine andere Form überzeugt.

Brauchen nicht neue Dramen auch eine ihnen angemessene neue Darstellungsweise?

Ich habe mich während meines Studiums an der Ernst Busch-Schule lange mit Stanislawski beschäftigt. Ebenso mit Artaud und Meyerhold, der vom „Schauspieler der Zukunft“ geträumt hat. Anhand der nach der Oktoberrevolution veränderten Gesellschaft versucht er eine ihr angemessene Theatersprache zu finden. Modernität kann also immer nur ein Reflex auf einen gesellschaftlichen Umbruch sein. Und den sehe ich gerade nicht.

Ist Theater überhaupt ein zeitgemäßes Medium?

Ja, auf eine Art vielleicht viel zeitgemäßer als andere Medien, weil es einer Sehnsucht entspricht, die eben sehr unzeitgemäß ist: Die Sehnsucht nach der körperlichen Erfahrung, die au-thentisch erlebbar wird, sowohl für Zuschauer als auch für die Darsteller.

Also kathartisch?

Ja, so eine wirklich brutale Erfahrung. Wenn es keinen Ausweg mehr gibt.

Werden Sie als Indendant noch weiter inszenieren?

Ich werde in jedem Fall weiter als Regisseur tätig sein, auch wenn das momentan nicht wirklich in Mode ist. Ich finde es trotzdem wichtig, als Leiter eines Hauses die ganz konkreten Tiefen auch jenseits des Bühnengrabens nachvollziehen zu können. Man muß mit drinstecken in der Scheiße.

Was sind Ihre Visionen?

Es wird grundlegende Änderungen an der Schaubühne geben. Dazu gehört die Einführung einer Einheitsgage, die Einrichtung einer Kindertagesstätte, eine Art Mitbestimmungsmodell und vieles mehr. Mir geht es in erster Linie darum, einen gemeinsamen Arbeitsprozess zu fördern und die verschiedenen Arbeitsbereiche wieder transparenter zu gestalten.

Interview: Claude Jansen

Premiere: Do, 15. April, 20 Uhr, Malersaal