Sieger gehen nicht pleite

■  Konkrete Zahlen über Kriegskosten erst nach dem Kriegsende. Kosten werden von Verteidigungsministerium heruntergespielt. Bis jetzt 10 Milliarden Dollar für Alliierte

Berlin (taz) – 500 Millionen Dollar pro Tag für die Nato, 450 Millionen Mark oder doch 1,2 Milliarden dieses Jahr für die Bundeswehr insgesamt – aber ohne humanitäre Hilfe –, 20 Milliarden Mark für den Wiederaufbau: Während der Krieg um das Kosovo weitergeht und kein Ende abzusehen ist, haben weltweit die Spekulationen um die Kosten längst begonnen.

Der Haushaltsexperte der CDU im Bundestag, Dietrich Austermann, rechnet mit mindestens 1,2 Milliarden Mark für den Einsatz in Kosovo und Bosnien. Darin enthalten sind 280 Millionen für die Tornado-Einsätze, 440 Millionen für die Soldaten im Kosovo und 480 Millionen für die SFOR-Truppen in Bosnien.

Vertreter der rot-grünen Fraktionen gehen davon aus, daß man zumindest dieses Jahr für den Kosovo-Einsatz mit den im Bundeshaushalt ausgewiesenen 450 Millionen Mark auskomme. Möglich würde das durch eine Kostenumverteilung: Ausgaben für die humanitäre Hilfe werden nicht aus diesem Etat finanziert, sondern aus den Töpfen, die für solche Zwecke zur Verfügung stehen, Ersatz für Bundeswehrausrüstung müsse nicht im laufenden Haushaltsjahr geleistet werden.

Von größeren Verlusten, einem monatelangen Einsatz oder gar anderen Kriegen, die dieses Jahr noch mit den „Krisenreaktionskräften“ geführt werden müssen oder können, geht man offensichtlich nicht aus. Über die Kosten eines Wiederaufbaus oder die Finanzierung einer internationalen Schutztruppe wird in den deutschen Ministerien offiziell nicht geredet.

Nach Berechnungen der FAZ, die vom Hamburger Institut für Friedensforschung als seriös bezeichnet werden, liegen die Gesamtkosten für die Nato-Allianz bei 500 Millionen Dollar pro Tag. Diese Schätzungen werden von dem amerikanischen Forschungsinstitut „Center for Strategic and Budgetary Assessments“ geteilt. Damit hätte der Krieg bisher insgesamt schon über 10 Milliarden Dollar gekostet, ein Zehntel des Golfkrieges. Darin eingerechnet sind Kosten für Marschflugkörper (pro Stück eine Million Dollar), Logistik, Tankflugzeuge und Flugleitsysteme, nicht aber der Abschuß von Tarnkappenbombern und die humanitäre Hilfe.

Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums bezeichnete die Summe von 500 Millionen Dollar jedoch als spekulativ.

Nicht einberechnet in dem deutschen Kosovo-Etat sind zusätzliche Einsatzkosten für die Tornados und Munition – laut Bundesverteidigungsministerium ist aber durch den Einsatz nicht mit besonderen Kosten zu rechnen, da ja „auch hierzulande zu Übungszwecken geflogen worden wäre“.

Echte Kriegskosten entstehen durch das Verschießen der Harm-Raketen durch die Tornados, die pro Stück 400.000 Mark kosten, und durch den Abschuß und Verlust von Aufklärungsdrohnen. Wie viele der Raketen bisher verschossen wurden und wie viele es überhaupt gibt, wird offiziell nicht mitgeteilt, da der Feind, so ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, sonst Rückschlüsse auf Stärke und Ort ziehen könnte – und die Steuerzahler auf bevorstehende Neuinvestitionen.

Bei den Allianzpartnern England und USA kennt man derart vornehme Zurückhaltung weniger. Bisher zahlen alle Nato-Länder abgefeuerte Raketen selbst, sollte der Einsatz länger dauern und teurer werden – zur Bereitstellung der Bodentruppen bräuchten die Alliierten mindestens zwei und bis zu zehn Wochen – könnte eine Aufteilung der Kosten beschlossen werden. US-Präsident Clinton kündigte an, daß er den Kongreß um zusätzliche Mittel für Kriegskosten bitten werde. Pentagon-Sprecher Ken Bacon schätzt die notwendigen Zusatzmittel auf 3 bis 4 Milliarden Dollar – ohne Flüchtlingshilfe.

Großzügig mit Zahlenangaben ist die Bundesregierung nur, wenn es die humanitäre Hilfe betrifft. 15 Millionen Mark wurden vom Entwicklungshilfeministerium als Nothilfe für die Flüchtlinge bereitgestellt. Davon werden Nahrungsmittel gekauft und transportiert sowie die Infrastruktur für eine Zeltunterkunft (4.000 Flüchtlinge, 4,5 Millionen) Mark finanziert.

In Deutschland selbst schießt der Bund für die 10.000 Kosovo-Flüchtlinge den normalerweise dafür zuständigen Ländern für drei Monate insgesamt 15 Millionen Mark zu. Der Zuschuß gilt für Unterkunft und Verpflegung, weitere Kosten – wie beispielsweise das Taschengeld – müssen die Länder selber tragen.

Nicht einberechnet in den Szenarien der Politiker sind die Kosten und Ausfälle, die die Wirtschaft durch den Krieg jetzt schon erleidet oder erwartet. Vor Ausbruch des Krieges hatten deutsche Firmen in den ehemaligen Ländern Jugoslawiens Investitionen in Höhe von 7 Milliarden DM geplant, diese Projekte werden derzeit zurückgestellt. Der Außenhandel Deutschlands mit Jugoslawiens, 1998 auf1,7 Milliarden DM beziffert, wird sich nach Ansicht des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) halbieren oder sogar auf ein Drittel schrumpfen.

Ein Beispiel für konkrete wirtschaftliche Verluste führt der Kölner StadtAnzeiger mit der größten deutschen Flußtransportgesellschaft, der Reederei Bayrischer Lloyd, an: 60 der 155 Frachtkähne, die die Donau befahren, liegen zwischen Jugoslawien und der Donaumündung fest, es entstehen laut Vorstand der Reederei täglich Millionenverluste.

Irgendwann wird der Krieg dann vorbei sein, bezahlt ist damit längst nicht alles. Nicht zu berechnen ist derzeit beispielsweise die Wiederaufbauhilfe. Der Wiederaufbau in Jugoslawien nach dem Bosnienkrieg wurde 1995 von der Weltbank mit 4,5 Milliarden Dollar beziffert. In der französischen Zeitung Le Monde schätzt der Chefökonom der amerikanischen Bank Lehman Brothers, John Llewellyn, die Aufbauhilfe im Kosovo auf rund 20 Milliarden Mark – „auch wenn der Krieg nicht länger als einen Monat dauert“.

Von der Nato wurden diese Schätzungen nicht bestätigt, das französische Verteidigungsministerium hält sie laut Le Monde allerdings für gerechtfertigt. Wie hoch auch immer die Kosten des Krieges werden, eines ist klar: Die Nato geht nicht pleite, bezahlen werden in der ein oder anderen Form die Steuerzahler. Zumindest den materiellen Schaden. Maike Rademaker