„Es ist eine barbarische Form des Faschismus“

■  Außenminister Joschka Fischer baut bei seiner Friedensinitiative für den Kosovo auf die UNO, will perspektivisch Vetopositionen im Sicherheitsrat an Pflichten knüpfen und mahnt seine Partei, nicht die Handlungsfähigkeit der Regierung zu gefährden. Der PDS wirft der Grüne Zweckpazifismus vor

taz: Herr Fischer, der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Naumann, hat gesagt, daß die Nato nicht in der Lage sei, den Kosovo-Konflikt aus der Luft in kurzer Zeit zu entscheiden. Muß man sich jetzt auf einen langanhaltenden Zermürbungskrieg einstellen?

Joschka Fischer: Bevor ich auf diese Frage antworte, gestatten Sie mir eine Bemerkung in eigener Sache. Ich bin weiß Gott nicht empfindlich, aber eine Schlagzeile der taz, die da lautet: „Die Rambouillet-Lüge. Was wußte Joschka Fischer?“, und der Vorwurf, ich hätte den Bundestag selektiv informiert - das ist schon ein starkes Stück. Es ist deshalb ein starkes Stück, weil man mir unterstellt, daß ich Deutschland in einen Krieg hineinmanövriert hätte unter Zurückhaltung relevanter Tatsachen.

Dieser Vorwuf wurde von der Verteidigungspolitischen Sprecherin Ihrer Fraktion, Angelika Beer, erhoben.

Das macht die Sache nicht besser. Ich muß den Vorwurf in aller Form zurückweisen. Wir haben die Abgeordneten umfassend informiert. Der hier zur Rede stehende militärische Annex, der den Status der eingesetzten alliierten Soldaten in Serbien regelt, hat in den Verhandlungen weder mit der serbischen noch mit der kosovarischen Seite je eine Rolle gespielt. Der Annex enspricht den Regelungen, wie sie in Dayton getroffen wurden, er entspricht den Regelungen für den Einsatz von UN-Friedenstruppen.

Ist die Situation in Jugoslawien nicht eine andere?

Von einer Souveränitätseinschränkung für Jugoslawien zu sprechen, ist völliger Quatsch. Die Einschränkung der Souveränität ist im politischen Teil des Rambouillet-Vertrages festgelegt und betrifft den Kosovo und die unmittelbare Grenzregion und sonst überhaupt nichts - bei gleichzeitiger Garantie des Verbleibs des Kosovo in Jugoslawien und Serbien. Zudem haben die Verhandlungen unter Führung Frankreichs stattgefunden, und die Vorstellung, daß Frankreich der Besetzung Jugoslawiens durch die Nato zugestimmt hätte, ist absurd. Auch ich wäre dagegen gewesen, weil es politisch völlig falsch wäre. Und deshalb kann ich es nicht auf sich beruhen lassen, in einer solchen verfälschenden Art öffentlich angegriffen zu werden.

Der Eindruck, daß Souveränitätsrechte unnötig beeinträchtigt werden, drängte sich auch Parlamentariern der Koalition auf. Warum hat man den nicht frühzeitig ausgeräumt?

Der Annex hat bei den Verhandlungen nie eine Rolle gespielt. Entscheidender waren eher die Frage der Entwaffnung der UÇK und die Frage, wie robust eine Friedenstruppe sein muß. Hätte ich gewußt, was aus diesem Annex innenpolitisch Monate danach entstehen kann, hätte ich sicher früher reagiert. Aber das macht die Sache nicht besser. Auch Abgeordnete können nachfragen.

Aber war der weitgehende Status der Soldaten, wie er in dem Annex juristisch fixiert wurde, praktisch auch notwendig?

Jeder wußte, daß die Nato ihre Truppen schützen muß. Durchfahrtsrechte müssen garantiert werden, weil das Nato-Gebiet im Norden liegt und das Kosovo im Süden Jugoslawiens. Das kann man bei 20.000 bis 30.000 Soldaten, bei einer dauerhaften Stationierung, nicht alles auf dem Luftwege regeln. Bei diesen Fakten kann man nicht von einer Souveränitätseinschränkung für die Bundesrepublik Jugoslawien sprechen. Vergleichen Sie den Entwurf doch nur mit der Regelung für Bosnien und Herzegowina, und Sie werden begreifen, wie absurd diese Debatte ist.

Kommen wir zurück auf General Naumann. Muß man sich jetzt auf einen Zermürbungskrieg einstellen?

Wir müssen die in dieser Woche begonnene politische Initiative voranbringen, die auf den fünf Punkten basiert, die mittlerweile weitgehend akzeptiert sind. Auf dieser Grundlage gibt es hohe Übereinstimmung zwischen den USA und Rußland. Es ist der Punkt der Friedenstruppe noch offen und zu lösen. Das ist ein großer Schritt nach vorne auf dem Weg zu einer Resolution des UN-Sicherheitsrates. Wir müssen Rußland einbinden, damit es seine Blokkadeposition im Sicherheitsrat überwindet. Dann kommt man zu einer tragfähigen Plattform, um die uneingeschränkte Rückkehr aller Flüchtlinge in ein friedliches, multiethnisches Kosovo zu gewährleisten. Das muß durch eine internationale Friedenstruppe nach Kapitel VII der UN-Charta gewährleistet werden. Dazu ist der Abzug aller serbischen Militärs, inklusive der Sonderpolizei, Bedingung. Das zu erreichen ist die Hauptaufgabe, nicht die Spekulation über Zermürbungskriege.

Was sollte Rußland bewegen, seine bisherige ablehnende Haltung aufzugeben?

Das gemeinsame Interesse. Mein Eindruck ist, daß unter dem Eindruck des Grauens des Kosovo-Krieges vieles in Bewegung gekommen ist. Das gegenseitige Interesse der Staaten an Kooperation und friedlicher Entwicklung ist angesichts dieser praktischen Erfahrungen wesentlich stärker geworden. Auch in Rußland sieht man schon seit längerem, daß eine politische Lösung gefunden werden muß auf der klaren Basis der fünf Punkte. Rußland wird seine konstruktive Rolle wieder im Sicherheitsrat aufnehmen, wo es Ständiges Mitglied ist. Wir sind sehr interessiert daran, daß der Sicherheitsrat wieder eine gestaltende Rolle übernimmt.

Hat Rußland noch einen entscheidenden Einfluß auf Miloevic?

Die russische Regierung ist in einer innenpolitisch sehr schwierigen Situation, die sich am Kosovo-Konflikt zugespitzt hat. Der ist nur die Spitze eines Eisberges, Rußlands Probleme sind tiefgehender. Doch ist auch Rußland völlig klar, daß eine militärische Lösung des Konfliktes nicht zu seinen Gunsten ausgeht. Und deswegen will es, wie wir auch, eine politische Lösung.

Wird Rußland an der zu bildenden Schutztruppe beteiligt?

Rußland ist ein Vertrauensfaktor gegenüber der serbischen Seite. Deshalb fände ich es sehr gut, wenn es integriert würde. Der Modus muß noch erörtert werden. Auch die Ukraine käme wie Rußland als möglicher Teilnehmerstaat einer Friedenstruppe in Frage.

Ist das auch möglich, wenn die Nato eine führende Rolle einnimmt?

Das ist eine Diskussion, die nach praktischen Gesichtspunkten erfolgen sollte. Eine Unprofor-Lösung, also eine schwache Truppe, die sich nicht durchsetzen kann, wäre das Fatalste, was man machen kann. Man kann Soldaten nicht in einen Einsatz schicken, bei dem sie Kopf und Kragen riskieren, für den sie aber nicht ausgerüstet sind. Wie das Firmenschild heißt, wie die Organisationsstruktur ausschaut, darüber führen wir zur Zeit eine offene Diskussion.

Miloevic wird schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezichtigt. Welches Vertrauen kann man in einen solchen Verhandlungspartner haben?

Es geht nicht um Vertrauen, sondern um Taten. Was Miloevic treibt, ist eine völkische Politik, es ist eine rohe, barbarische Form des Faschismus. Zum Völkermord ist es da nur noch ein kleiner Schritt. In Bosnien, das muß man sehen, wurde dieser Schritt damals bereits getan.

Deshalb frage ich, wie Sie ihn noch als Vertragspartner betrachten können.

Für uns ist die Regierung in Belgrad Ansprechpartner, solange es keinen anderen Ansprechpartner gibt.

Was passiert, wenn das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen Miloevic Anklage erhebt?

Dann haben wir eine neue Lage. Dann werden wir im Bündnis Konsequenzen ziehen müssen.

Welcher Art?

Ich kann mir nicht vorstellen, daß bei einer Anklage die Staatengemeinschaft so tun könnte, als ob da nichts wäre. Denn dann würden wir das Tribunal im Kern erschüttern.

Die Nato hat mit ihrem Vorgehen bestehendes Völkerrecht gebrochen. Wie sieht die Wiedergutmachung aus?

Ich teile Ihre Auffassung überhaupt nicht. Das Kosovo ist und bleibt ein Ausnahmefall. Niemand sollte denken, das sei die neue Regel der neuen Nato. Spätestens die Erklärung von UN-Generalsekretär Annan mit den fünf Punkten hat klargemacht, daß wir es nicht mit einem Bruch des Völkerrechts in der Sache zu tun haben, sondern mit einer Blockadesituation im Sicherheitsrat aufgrund nationaler Interessen. In der Substanz stekken wir in einer ausweglosen Situation. Völkerrecht kann doch nicht heißen, daß wir zusehen, wenn andere mit Massakern beginnen. Wir brauchen hier eine Fortentwicklung des Gewaltmonopols des Sicherheitsrates, um gewappnet zu sein für die internationalen Veränderungen im 21. Jahrhundert. Dafür müssen wir das heutige Vetorecht, das als Blokkadeinstrument betrachtet wird, in Frage stellen. Wir müssen es nicht abschaffen, aber wir müssen fragen, welche inhaltlichen Bindungen lassen sich daran knüpfen. Der Sicherheitsrat hat zu Recht eine völkerrechtlich starke Position. Deshalb frage ich, ob es nicht nur ein Recht des Sicherheitsrates gibt, sondern auch eine daraus erwachsende Pflicht.

Sie fordern nicht die Abschaffung des Vetorechtes zugunsten einer Mehrheitsentscheidung?

Nein, ich bin für den Beginn einer Diskussion darüber, wie man in Zukunft einer Blockadesituation entgehen kann. Das setzt natürlich Bewegung bei den fünf Inhabern der Vetogewalt im Sicherheitsrat voraus.

Sehen Sie diese Bewegung?

Im Moment nicht. Aber Generalsekretär Annan hat mit seiner sehr mutigen Rede in Genf eine Tür aufgestoßen. Die Debatte darüber wird zu einer völkerrechtlichen Neuorientierung führen.

Welche Konsequenzen zieht die Nato aus dem Kosovo-Konflikt für ihre neue Strategie?

Ich rate dazu, ein Verteidigungsbündnis zu bleiben.

Auf die Landesverteidigung begrenzt? Mit Selbstmandatierung?

Bei diesen Strategiefragen gilt das gute alte Sprichwort: Schuster, bleib bei deinem Leisten.

Der SPD-Parteitag hat mit großer Mehrheit die Kosovo-Politik von Gerhard Schröder unterstützt. Erwarten Sie eine ähnlich hohe Zustimmung auf dem Grünen-Parteitag?

Ich erwarte eine sehr ernste und engagierte Debatte, die zu einer verantwortungsvollen Entscheidung führt. Es macht die Grünen aus, daß die Frage von Krieg und Frieden sie innerlich zu zerreißen droht. Wir müssen die Debatte allerdings so entscheiden, daß die Koalition bestehen und die Regierung handlungsfähig bleibt, im Interesse des Friedens und der Menschenrechte. Mein Eindruck ist, daß das in der Partei mehr und mehr begriffen wird. Daß Abstimmungen dann bei uns immer etwas knapper ausfallen, auch das gehört zu uns.

Zur Zeit versucht die PDS, den Grünen den pazifistischen Schneid abzukaufen.

Soviel Pazifisten mit Militärerfahrung wie in der PDS wird man in keiner anderen Partei finden. Die wurden mit dem Fall der Mauer zu Pazifisten, sind es aber eigentlich nicht. Alte Feindbilder der Blockauseinandersetzung sind da reaktivierbar. Was die PDS betreibt, ist politischer Zweckpazifismus.

Sind die Grünen jetzt in eine existentielle Krise geraten?

Nein, das sehe ich nicht. Wir setzen uns jetzt über die Kernsubstanz unserer Identität auseinander. Aber bei allem Streit, im Einstehen für Minderheiten und Menschenrechte waren wir immer geeint. Und im Kosovo-Konflikt geht es um die Rechte einer islamischen Minderheit. Interview: Dieter Rulff