Schwer erkämpfte Ekstase

■ Das Spiel mit den Erwartungen: Jan Puschs intime Tanzperformance „Please Help Yourself“ auf Kampnagel

Nichts ist intimer als ein Solo. Die Leere der Bühne, auf der du steht, muß gefüllt werden. Möglichst mit Gefühlen. Mit Intimitäten, von denen du sonst höchstens der besten Freundin erzählen würdest. Doch ein Solo tanzt du vor wildfremden Leuten.

Fiona Gordon hat keine Lust, ein Solo zu tanzen: An manchen Tagen sei sie einfach nicht darauf vorbereitet, sich mit ihrem Innersten auseinanderzusetzen. „I want to decide it“, erklärt sie zu Beginn des Stückes Please Help Yourself mit Distanz in der Stimme. Das Publikum lacht. Irgendwann wird sie schon anfangen mit ihrem Solo. Steht ja schließlich auf dem Programm.

Jan Puschs preisgekröntes Projekt mit Fiona Gordon auf Kampnagel ist der zweite Teil einer Doppelvorstellung, in der zunächst die britische Tänzerin und Choreographin Fin Walker mit James Flynn das Duett Reasons for Knocking tanzt: das dynamische Nebeneinander zweier Individuen, das sich in der Verschmelzung zu einer Person auflöst. Sehr genau kalkuliert wirkt das und in seiner geordneten Sachlichkeit fast maschinell.

Und jetzt kommt da diese junge Frau, Fiona Gordon, mit ihrer knallroten Girliehaarspange und den grellbunten Klamotten und entscheidet einfach mal so, heute nicht zu tanzen. Es ist ein geschicktes Spiel mit den Erwartungen des Publikums, das der Choreopraph Pusch mit seiner Tänzerin erarbeitet hat. Please Help Yourself haben sie es genannt: „Bitte sehr, bedien' Dich!“ Fiona Gordon nimmt diese Aufforderung wörtlich. Sie bedient sich selbstbewußt aus dem Katalog der Möglichkeiten, die jemand hat, der allein vor Publikum steht. Wie wäre es denn, einfach mal nicht zu tanzen? Geht das überhaupt?

Es geht natürlich nicht. Denn da ist ja noch das Publikum. Weiße Augenpaare im Dunkeln des Zuschauerraumes, die das Please Help Yourself genauso wörtlich nehmen: Sie wollen Emotionen sehen, Leidenschaft, Ekstase, eben den gewohnten Seelenstriptease auf der Bühne.

Und sie kriegen ihn. Obwohl das etwas dauert. Denn die Tänzerin wehrt sich, kämpft dagegen an, etwas aus ihrem Innersten preiszugeben. Fiona Gordon drückt diesen Widerstand mit allen Mitteln aus, die sich ihr als Tänzerin bieten: durch trotzige Mimik, durch den Widerwillen in ihren Bewegungen, wenn laute Musikfetzen ihren Körper wie ohne ihr Zutun über die Bühne peitschen.

Doch irgendwann ist auch ihr Wille gebrochen. Von einer durchdringenden Lautsprecherstimme läßt sie sich zur Preisgabe ihrer „intimite secrets“ überreden: Sie erzählt von ihrem Date mit „Brian“. Erst in Worten, stockend und verschämt. Ab dem Moment, in dem Brian mit Kerzen ins Zimmer kommt, erzählt nur noch Gordons Körper: zuckt, wirbelt, wälzt sich über die Bühne. So intensiv und „sprechend“ wirkt das, daß man sich manchmal nicht sicher ist, ob das Keuchen, Kreischen und Knirschen tatsächlich aus dem Lautsprecher kommt oder ob Gordons Körper die Quelle der Geräusche ist.

Am Ende Erschöpfung. Fiona Gordon hockt auf dem Boden, die Haare zerzaust. Das Publikum, Gewinner des Kampfes um ihre Intimsphäre, klatscht begeistert. Was fühlt man als Tänzerin nach einem solchen Solo? Erleichterung? Leere? Stolz? Please, help yourself.

Kristina Maroldt

noch heute, 20 Uhr, Kampnagel k1