Bloß nicht betroffen

Kunst von Behinderten als Wege zu einer neuen Methodik: das Theaterfestival „Krumme Hunde“  ■ Von Stefanie Heim

Ein „Krummer Hund“ – das war in den einstigen Ottenser Zigarrenfabriken der Ausschuß: die Zigarren, die nicht der Norm entsprachen und aussortiert wurden. Die Ansichten ändern sich: Heute sind die „Krummen Hunde“ als Unikate besonders begehrt.

Mit unverhohlenem Interesse wollen auch die krummen Hunde bei den Tanz- und Theatertagen behinderter und nichtbehinderter Darsteller an diesem Wochenende in Hamburg gemustert werden. Nicht unter dem Aspekt des vermeintlich Minderwertigen, sondern mit dem offenen Blick für die spezifischen Kunstformen Behinderter, die methodisch anders sein müssen.

„Gerade das Nichtnormale wollen wir thematisieren“, erklärt Mitveranstalterin Angela Müller von kunstwerk e.V., „wir wollen nichts beschönigen, sondern provozieren und die ganz eigene Kultur Behinderter herausstellen.“ Daß das fasziniert, hat sich bei zurückliegenden Veranstaltungen wie dem festival verrückte Kunst gezeigt, bei dem es ebenfalls darum ging, therapeutische Beurteilungen ad acta zu legen.

„Über den Dunstkreis Betroffener hinaus Theatergänger anzusprechen“, das wünscht sich Jutta Schubert, die ebenfalls an der Organisation beteiligt ist, „aber nicht mit sozial verschleiertem Blick und betroffenem Erstaunen, daß ,die' ja auch was können.“ Was schließlich auch nicht angebracht ist, wie die Hamburger Klabauter oder das Berliner Theater Thikwà und Ramba Zamba mit minimalistischem Ausdruck oder opulentem Volkstheater beweisen.

Während es beim ersten Krumme-Hunde-Festival noch darum ging, das Spektrum der Hamburger Musik-, Theater- und Tanzgruppen mit Behinderten vorzustellen, ist die Vernetzung in den vergangenen eineinhalb Jahren soweit gediehen, daß der Schwerpunkt verlagert wurde: Interessierte Theaterleute sollen neue Arbeitsmethoden kennenlernen. Der Bedarf dafür ist vorhanden. „Eine unglaubliche Entwicklung der integrativen künstlerischen Arbeit hat in den letzten Jahren stattgefunden“, berichtet Schubert, die den Trend der Professionalisierung mit ihrem Verein zur Förderung behinderter Künstler, EUCREA, unterstützen will. Immer mehr körperlich und geistig Behinderte betrachten Kunst nicht mehr nur als Beschäftigungstherapie in der Laienspielgruppe, sondern wollen nach einer Ausbildung in dem Beruf arbeiten und auf dem freien Markt Geld verdienen.

Das Gastspiel der niederländischen Theatergruppe LeBelle am Sonnabend ist ein Beispiel für diesen Trend: Leiter Dirk van Duijn, Mimedocent an der Hogeschool v.d. Kunsten in Amsterdam, hat sich für diese spezielle Mimik- und Gebärdensprache ausbilden lassen. Theater heißt bei ihm vor allem Arbeit, dann erst kommt das Spiel. Täglich werden die zwölf Darsteller unterrichtet in Drama, Tanz und Stimmtechnik. Eigene Erfahrungen und die Wahrnehmung der Welt außerhalb des Theaters spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Produktion. Natürlich will Dirk van Duijn durch die Theaterarbeit auch das Selbstwertgefühl seiner behinderten Schauspieler stärken und sie für Alltagssituationen fit machen. „Viele Menschen mit geistiger Behinderung gehen mit gesenktem Kopf durch die Straße. Bewußte oder unbewußte Scham macht sie verlegen und manchmal schrecklich unsicher“, so van Duijn.

Mit De Kraken erwartet die Zuschauer ein ebenso heiteres wie ernstes Stück, inspiriert durch die Columbus-Geschichte, bei der im 16. Jahrhundert ein Octopus Schiffe in die unendlichen Tiefen des Meeres zieht. Die Seemänner hatten unerhörten Respekt vor dem Ungetüm, genau wie vor der Idee, die Welt sei eine flache Scheibe, von der man herunterfallen könnte. Unbekanntes löst Unbehagen aus – das ist die Botschaft, die LeBelle auf die TiK-Bühne bringen. Lautstark, aber ohne viele Worte zu machen.

Gastspiel Theater LeBelle: morgen, 20 Uhr, TiK (anschließend, 21.45 Uhr, Werkstattgespräch). Außerdem gibt es Workshops und Probeneinblicke. Infos unter Tel.: 39 90 22 12